Forschen über Dezentralisierung in Tunesien
Praktikumsbericht von Mieke beim Arab Institute for Democracy
Von Oktober bis Dezember habe ich ein Praktikum beim Arab Institute for Democracy (AID) absolviert. Die kleine, tunesische Non-Governmental Organisation verfolgt den Prozess der demokratischen Transition, der mit der Revolution 2011 in Gang gesetzt wurde. Damit soll der Übergang zu einer funktionierenden Demokratie begleitet werden. Die Organisation hat ihren Sitz in Tunis, unweit von meiner Wohnung entfernt, was mir lange Wege oder Fahrten in vollen Bussen zur Rush-Hour ersparte. Regulär waren drei Mitarbeiter*innen im Büro, aber es kamen häufig Leute vorbei, um meinen Chef Khaled Chouket zu treffen und sich mit ihm auszutauschen. Neben seiner Tätigkeit beim AID ist er außerdem aktiver Politiker der Partei Needa Tounes.
Zu Anfang meines Praktikums wurde ich von ihm begrüßt und in die Organisation eingeführt, außerdem stellte er mir zwei Aufgaben für mein Praktikum vor, aus denen ich auswählen durfte. Entweder konnte ich die Übersetzung der Website ins Englische unterstützen, oder eine Recherche zum Thema Dezentralisierung der tunesischen Politik durchführen. Ich studiere Ethnologie und Arabistik, weswegen mich die zweite Aufgabe sehr interessierte und ich mich ohne zu zögern dafür entschied. In der ersten Woche belas ich mich also zum Prozess der Dezentralisierung in Tunesien, wobei mir die Berichte von mehreren Stiftungen sowie eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur halfen. Dezentralisierung als politischer Prozess ist in der tunesischen Verfassung von 2014 festgeschrieben und gilt als Hoffnungsträger, um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in abgelegeneren Regionen anzukurbeln.
Nachdem ich mir einen ersten Überblick über das Thema erarbeitet hatte, setzte ich mich mehr mit der Konzeption der Recherche auseinander. Durch einen Fragebogen sollte ich herausfinden, wie die tunesische Jugend zum Thema und zum Prozess der Dezentralisierung steht. Als Studentin der Ethnologie sind mir soziologische Methoden bekannt, aber nicht vertraut, weswegen der Konzeption das Einarbeiten zu soziologischen Methoden vorausging. Daraufhin entwickelte ich einen Fragebogen, der verschiedene Bereiche wie politisches Engagement, Entwicklung und Zugang zu Ressourcen in der eigenen Gemeinde und persönliche Positionierung zum Prozess umfasste. Diesen Fragebogen verschickte ich an Freunde und Bekannte und teilte ihn bei einer Konferenz des AID zur Dezentralisierung unter den Teilnehmenden aus. Insgesamt beantworteten 40 Personen zwischen 19-40 Jahren die Umfrage, die ich anschließend in einem Research Paper auswertete. Die Antworten der Teilnehmenden waren zum Großteil sehr reflektiert und deuteten auf die gleichen Umstände hin wie zum Beispiel der Bericht der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) über Dezentralisierung in Tunesien von 2017. Das Potential des Prozesses sei demnach vorhanden, aber es fehlten Ressourcen und qualifizierte Mitarbeiter*innen, die auf lokaler Ebene die administrativen Voraussetzungen schaffen können, um einen erfolgreichen Verlauf des Prozesses zu garantieren. Auch die Unterstützung der tunesischen Gesellschaft nahmen die Teilnehmenden als Faktor wahr, um die Politik hin zu einer förderalistischeren Variante zu entwickeln. Einstimmig unterstützten die Teilnehmenden das Ziel der Dezentralisierung in Tunesien und begrüßten Maßnahmen, diese umzusetzen, um die Ungleichheiten, die zwischen der Küstenregion und Regionen im Landesinneren liegen, auszugleichen.
Für die Planung sowie die Umsetzung der Recherche arbeitete ich eigenverantwortlich, was mir sehr gefiel. Regelmäßig berichtete ich meinem Vorgesetzten von meinen Fortschritten und über den aktuellen Stand meiner Arbeit. Neben der regelmäßigen Arbeit im Büro nahm ich außerdem an einer Konferenz zur Lage der Dezentralisierung mit Vertreter*innen verschiedener Kommunen aus ganz Tunesien teil und tauschte mich mit Forscher*innen und anderen Involvierten über das Thema aus, was meine Arbeit sehr bereicherte.
Während meiner Recherche lernte ich viel über das Thema selbst, aber auch über tunesische Politik und die Geschichte des Landes. Interessant war es dabei zu verstehen, wie historische Ereignisse seit Gründung der Republik und der autokratischen Regierung unter zuletzt Zine el-Abidine Ben Ali zur Revolution im Jahre 2011 führten und somit die Gegenwart prägen. Durch eine Auseinandersetzung mit der Rolle von (deutschen) Stiftungen und Organisationen verstehe ich zudem besser, was für eine Rolle Tunesien im Demokratisierungsprozess in der Region zugesprochen wird. In diesem Zusammenhang war es spannend, zum Zeitpunkt den Parlamentswahlen sowie den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019 in Tunis gewesen zu sein und die Ereignisse aus nächster Nähe zu verfolgen. Aber nicht nur über Tunesien habe ich seitdem viel gelernt. Auch über das benachbarte Libyen konnte ich seit meiner Ankunft viel erfahren. Dies liegt zum einen an der geographischen Nähe, und zum anderen an der Anwesenheit vieler Organisationen in Tunis, die zu Libyen arbeiten (z.B. die deutsche Botschaft für Libyen hat ihren derzeitigen Sitz in Tunis). Mitte Dezember 2019 beendete ich das Praktikum. Das Thema Dezentralisierung und das AID als Organisation werden jedoch noch für ein paar weitere Monate Teil meines Alltags bleiben: Denn ich habe mich dazu entschieden, meine Bachelorarbeit über das AID als Akteur im Prozess der Dezentralisierung zu schreiben. Dafür werde ich zwei weitere Monate in Tunis verbringen und hoffentlich weiterhin interessante Dinge herausfinden.
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Die von uns wiedergegebenen Berichte von durch uns vermittelte Praktikant/innen spiegeln nicht notwendigerweise die Sichtweise von 14km e.V. oder unseren Partnern wider.