Öffentlicher Raum

Im öffentlichen Raum werden Erinnerungsorte geschaffen. So werden zum Beispiel historisch bedeutsame Ereignisse, Orte oder Personen gewürdigt, indem Straßen oder Plätze nach Ihnen benannt werden. Durch diesen Prozess werden die historischen Ereignisse in die Gegenwart getragen. 

Der öffentliche Raum in deutschen Städten und Regionen ist auch mehr als 100 Jahre nach dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft in Teilen des afrikanischen Kontinents von kolonialen Spuren geprägt. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um die Benennung von Straßennamen nach Kolonialherren. Manche dieser Straßen erhielten ihre Bezeichnungen noch während der Kolonialzeit, andere wurden in der NS-Zeit benannt. 

Diese gegenwärtigen kolonialen Hinterlassenschaften sind meist nicht in eine kritische Erzählung eingebettet. Koloniale Bezüge sind kaum sichtbar, da sie entweder im Krieg zerstört worden sind oder auch der koloniale Ursprung bzw. Zusammenhang vergessen, ignoriert oder durch andere Erzählungen überlagert worden ist. Eine Wertschätzung des antikolonialen Widerstands findet auch im öffentlichen Raum nicht statt.

Straßennamen oder Denkmäler sollen Menschen ehren, die etwas Besonderes geleistet oder sich historische Verdienste erworben haben. Die Reproduktion kolonialer Macht im öffentlichen Raum trägt zur Verbreitung von strukturellem Rassismus bei.

Im Rahmen des Projektes “Mind your privilege” will der Verein 14,4km e.V. dazu beitragen, die koloniale Topographie, insbesondere in Berlin, aufzuarbeiten und kritisch zu reflektieren. Dabei wollen wir auch die Arbeit von lokalen und überregionalen migrantisch-diasporischen Gruppen, BIPoC und zivilgesellschaftliche dekoloniale Initiativen im globalen Süden und Norden hervorheben, ohne die eine Aufarbeitung des kolonialen Erbes Deutschlands kaum stattfinden würde. 

Mit Blick auf Berlin gibt es rund 70 Straßennamen und Plätze, die an Sklavenhandel und deutschen Kolonialismus erinnern. 

“Erstmals überhaupt wird in Deutschland ein kolonialer Straßenname durch den Namen einer Person ersetzt, die sich kritisch mit Kolonialismus und Rassismus auseinandergesetzt hat“, heißt es beim Berliner Entwicklungspolitische Ratschlag e.V. (BER).

Am Samstag, 27. Februar 2010 wurde das Gröbenufer an der Oberbaumbrücke in Berlin feierlich in May-Ayim-Ufer umbenannt. Gleichzeitig wurde eine Gedenktafel eingeweiht, die an May Ayim und ihr Wirken erinnert.

Bis zur Umbenennung hieß die Straße “Gröbenufer” und erinnerte an den Kolonialpionier Major Otto Friedrich von der Gröben (1657-1728). Mit der Benennung der Straße nach von der Gröben würdigte ihn Kaiser Wilhelm II. in der Hochphase des deutschen Kolonialismus als »ersten Brandenburgischen Colonial-Gouverneur« und »Erbauer der Feste Gross- Friedrichsburg an der Küste von Guinea« im heutigen Ghana. Im Auftrag des Kaisers hatte von der Gröben Groß-Friedrichsburg errichten lassen, welches als Stützpunkt für den Handel und für die organisierte Verschleppung von versklavten Menschen fungierte. 

Auch wenn es mit der Umbennenung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer ein Paradebeispiel für die koloniale Aufarbeitung und kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit im öffentlichen Raum gibt, gibt es am anderen Ende der Stadt genauso ein Paradebeispiel, welches aufzeigt, wie langwierig und problematisch der Umbenennungsprozess zumeist abläuft: das “Afrikanische Viertel” in Berlin Mitte. In diesem Viertel befinden sich mit der Petersallee, dem Nachtigalplatz und der Lüderitzstraße unter anderem 3 Straßen, mit denen der Kolonialismus in die Gegenwart gebracht wird. Bezieht man alle Diskussionen über den Umgang mit den Straßennamen des Viertels mit ein, läuft der Prozess der Umbenennung bereits seit mehr als drei Jahrzehnten. Im Jahr 2018 wurde unter der rot-rot-grünen Bezirksregierung die Umbenennung der drei Straßen beschlossen. Anschließend konnte die Bevölkerung Namensvorschläge einreichen. Woraufhin ein Expert*innengremium – nach Scheitern der ersten Auswahljury – drei Namen auswählte, welche anschließend verabschiedet worden sind. Im folgenden Schritt wird die Umbenennung im Amtsblatt für Berlin veröffentlicht und der Bevölkerung wird die Möglichkeit gegeben, Widerspruch einzulegen. Seit der Veröffentlichung sind mehr als 500 Widersprüche durch die Berliner Bevölkerung eingereicht worden, welche nun einzeln beschieden werden müssen. Bis alle Verfahren beendet sind, befinden sich die Umbenennungen im Zustand des „schwebenden Unwirksamseins“ und können de facto nicht umgesetzt werden.

Petersallee

Warum ist der Straßenname problematisch?

Die Straße ist nach Carl Petersen (1856 – 1918) benannt, der die treibende Kraft hinter der Gründung der ehemaligen deutschen Kolonie Deutsch-Ostafrika war.

Was wurde bisher erreicht?

Nach einem Beschluss des Bezirksrats von Berlin/Mitte vom April 2018 wird der nordöstliche Abschnitt Richtung Müllerstraße nach der namibischen Unabhängigkeitsaktivistin Anna Mungunda und der südwestliche Abschnitt Richtung Windhuker Straße Maji-Maji-Allee heißen. Bis heute sind keine neuen Straßenschilder installiert. Mehrere Anwohner haben Klagen gegen die Umbenennung eingereicht.

Wer war Anna-Mungunda?

Sie war Aktivistin in der namibischen Unabhängigkeitsbewegung gegen die Besetzung des Landes durch Südafrika.

Was steckt hinter dem Namen Maji-Maji-Allee?

Der Maji-Maji-Aufstand (auch Maji-Maji-Krieg genannt) von 1905 bis 1907 war ein Aufstand der afrikanischen Bevölkerung im Süden Deutsch-Ostafrikas gegen die deutsche Kolonialherrschaft.

Lüderitzstr

Warum ist der Straßenname problematisch?

Adolf Lüderitz (1834 – 1884) war ein Bremer Kaufmann, der die Nama an der Küste des heutigen Namibia um einen großen Teil ihres Landes betrog. Er wurde von der Kolonialbewegung als „Kolonialpionier“ heroisiert.

Was wurde bisher erreicht?

Nach Beschluss des Bezirksrats von Berlin/ Mitte vom April 2018 wird die Lüderitzstraße in Cornelius-Fredericks-Straße umbenannt. Bis heute ist kein neues Straßenschild installiert. Mehrere Anwohner haben Klagen gegen die Umbenennung eingereicht.

Wer war Cornelius-Fredericks?

Cornelius Fredericks (1864 – 1907) war ein Anführer der Aman (gehören zu den Nama, die in Südwestafrika eine Orlam-Gesellschaft bilden) im südlichen Teil von Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia. Während des Nama-Aufstands gegen die Deutschen war Fredericks einer der indigenen Anführer eines aktiven Guerillakriegs. Fredericks wurde im Konzentrationslager an der Lüderitzbucht ermordet.

Nachtigalplatz

Warum ist der Straßenname problematisch?

Gustav Nachtigal (1834 – 1885) wurde als „Gründer der deutschen Kolonien in Afrika“ geehrt. Er übernahm eine führende Rolle bei der Etablierung der deutschen Herrschaft über die drei westafrikanischen Kolonien Togo, Kamerun und Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia.

Was wurde bisher erreicht?

Nach Beschluss des Bezirksrats von Berlin/ Mitte vom Oktober 2018 wird der Nachtigalplatz Manga-Bell-Platz heißen. Bis heute ist kein neues Straßenschild installiert. Mehrere Anwohner haben Klagen gegen die Umbenennung eingereicht.

Wer war Manga Bell?

Manga Bell (1873 – 1914) war während der deutschen Kolonialzeit König des Volkes der Duala in Kamerun. Er war der Anführer des Widerstands gegen die illegale Vertreibung der Duala aus ihren angestammten Siedlungsgebieten.

Wie zuvor schon erwähnt, wäre die Aufarbeitung des deutschen kolonialen Erbes im öffentlichen Raum ohne die Arbeit von lokalen und überregionalen migrantisch-diasporischen Gruppen, BIPoC und zivilgesellschaftlichen dekolonialen Initiativen im globalen Süden und Norden nicht soweit wie sie heute ist. Einige dieser Initiativen möchten wir gerne vorstellen: 

Dekoloniale 

Das Projekt wurde im Januar 2020 mit dem Ziel gestartet, die Geschichte des Kolonialismus und seine Folgen kritisch zu hinterfragen. Dabei handelt es sich um ein partizipatives Solidaritätsprojekt, das in Zusammenarbeit mit Expert*innen und Aktivist*innen weltweit die Vergangenheit und Gegenwart des (anti-)kolonialen Berlins erforschen und (online) sichtbar machen möchte. Berlin dient dabei als Beispielmodell, an dem erprobt werden soll, wie in einer Metropole dekoloniale Erinnerungskultur untersucht werden kann, nicht sichtbares erfahrbar gemacht werden kann und Sichtbares irritiert werden kann. 

Dekoloniale – Erinnerungskultur in der Stadt

Tear this down

Das Künstlerkollektiv Peng! und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) haben Landkarten erstellt, die das Ausmaß der problematischen Erinnerungskultur deutlich machen sollen. Auf einer Karte werden Straßennamen gesammelt, die Schwarze Menschen abwertend bezeichnen oder an Kolonialisten erinnern. Neben der Sammlung von Straßennamen bietet die Seite eine Liste von Straßennamen und Denkmälern, die Auskunft über den historischen Hintergrund bestimmter historischer Persönlichkeiten geben. Der Initiative ist es wichtig, sich mit Geschichte auseinanderzusetzen, den Diskurs voranzutreiben und zu erinnern. Das Projekt ist partizipativ, lokale Initiativen können zusätzliche Straßennamen oder Denkmäler beisteuern. 

Tear this down – Kolonialismus jetzt beseitigen

BER-Broschüre „Stadt neu lesen“

In Kooperation mit Berlin Postkolonial e.V. und der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD-Bund e.V.) hat der BER das Dossier „Stadt neu lesen“ veröffentlicht. Sie informiert über koloniale Namensgeber und deren Verbrechen in Berlin, listet Umbenennungen in anderen Städten auf und unterbreitet Ideen für alternative Namensgeber. Bei Interesse könnt ihr die Broschüre hier kaufen: https://eineweltstadt.berlin/publikationen/stadtneulesen/ 

Lern- und Erinnerungsplattform Afrikanisches Viertel

Die Website ist Teil des Projektes „Afrikanisches Viertel als Lern- und Erinnerungsort“ vom Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamtes Berlin. Das Ergebnis ist eine digitale Karte mit Texten und Tonaufnahmen der 22 Straßen im Afrikanischen Viertel. Es stehen Texte und Audiodateien zur Verfügung, die vor Ort oder zu Hause abgerufen werden können. 

http://www.3plusx.de/leo-site/ 

Kommunale postkoloniale Vereine

In vielen deutschen Städten gibt es viele postkoloniale Vereine, wie Berlin, Halle, Dresden, Bamberg, Koblenz, … , die sich vor allem für die Entkolonialisierung in ihrer Stadt einsetzen. Bei Interesse einfach googeln, was in deiner Stadt los ist.

Wollt ihr weitere Infos rund um das Thema öffentlicher Raum  im postkolonialen Zusammenhang? Dann besucht doch unseren Instagram-Kanal: 14,4km e.V. (@14km_theshortestdistance) • Instagram-Fotos und -Videos

Unter unseren Posts findet ihr nähere Informationen und die dazugehörigen Stories sind im Highlight abgespeichert.

Projekt: Mind your privilege

Gefördert durch:

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