Musik und Tanz

Musik und Tanz überwinden Sprachbarrieren und machen emotionale Eindrücke erfahrbar. Aus diesem Grund spielten schon während der Kolonialzeit Musik und Tanz als Zeichen von Macht und Herrschaft eine große Rolle. So wurde Musik z.B. in Form von militärer Marschmusik gezielt als Mittel der Machtdemonstration und Einschüchterung eingesetzt. So kam es bei den kolonialen Raubzügen zu musikalischen Inszenierungen der Kolonialherren, um die Mission und ihr Sendungsbewusstsein zu bestärken. 

Neben der Militärmusik spielte vor allem die Kirche als wichtigste kulturelle Institution zur Kolonialzeit eine wichtige Rolle. Kirchliche Musik wurde genutzt, um den Kolonialisierten Glauben, Demut und Bewunderung gegenüber der Überlegenheit der weißen Eroberer näher zu bringen. 

Jedoch war nicht nur für die Kolonialherren Musik und Tanz ein wichtiges Instrument zur Inszenierung. Für die Kolonialisierten wurde es zur Waffe des Widerstandes. Musik zeigte das Aufbegehren der Kolonialisierten auf, bevor es eine bewaffnete Phase des Widerstandes gab. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Musik und der Tanz nicht mehr durch die Kolonialherren entfremdet, sondern die eigenen Erfahrungen, Interessen und Bedürfnisse der Kolonialisierten konnten wieder zum Ausdruck gebracht werden.

Blickt man heute auf der Welt der Musik und des Tanzes gibt es kaum ein Genre, welches seinen Ursprung nicht in der Musik der kolonialisierten Menschen hatte. Angefangen bei Jazz und Blues, über Rock’n’Roll, Soul, Reggae, Ska, R’n’B, Hip-Hop und weite Teile der elektronischen Musik haben ihre Quelle in der Musik des Widerstandes. Moderne Popmusik ist das Ergebnis des Kolonialismus. 

… das Problem mit der kulturellen Aneignung 

Zunächst einmal, was ist kulturelle Aneignung überhaupt?

Der Begriff beschreibt die unbewusste, uneingestandene oder absichtlich unangemessene Übernahme kultureller Einflüsse einer ethnischen Gruppe durch eine andere.

Kulturelle Aneignung kann als „Prozess der strukturierten Transformation“ verstanden werden, bei dem einem Objekt mit bestimmten Eigenschaften nach einer Aneignung verschiedene Transformationsprozesse unterzogen werden. Zu den Teilprozessen der Transformation gehören die Anpassung, die (Um-)Benennung, die (ggf. andere) Kontextualisierung und die Einverleibung des Objekts. Durch das Zusammenwirken eines oder mehrerer Teilprozesse entstehen neue Traditionen.

Betrachtet man den Begriff aus postkolonialer Perspektive, wird dieser enger gefasst und beschreibt die respektlose Übernahme von Elementen einer marginalisierten Kultur durch eine dominante Kultur. Mit dieser Akzentuierung dient der Begriff der kulturellen Aneignung unter anderem dazu, Macht- und Diskriminierungsverhältnisse zu kreieren. Anpassung, Assimilation oder kultureller Austausch auf Augenhöhe gibt es nicht. Es kann daher als moderner Kolonialismus gewertet werden. Durch kulturelle Aneignung können kulturelle Elemente verloren gehen, verfälscht oder durch die Übernahme verzerrt werden, sodass die ursprüngliche Bedeutung nicht mehr erkennbar ist.

Sowohl Musik als auch Tanz leben davon, voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu inspirieren, von einer Vermischung verschiedener Stilrichtungen. Stillstand gibt es nicht. Einflüsse werden in der Musik verarbeitet und damit bisher als fremd geglaubtes, angeeignet und zu etwas Eigenem verarbeitet. Dadurch entsteht etwas Neues in der Kultur und damit auch neue Musikrichtungen und Tanzstile.

Doch wann ist diese kulturelle Aneignung kritisch zu sehen?

Das Problem, das kulturelle Aneignung verursacht, ist Abgrenzung. Traditionen aus ursprünglichen Machtverhältnissen, in denen “die Stärkeren” “die Schwächeren” ausnutzen, werden sichtbar. 


Es muss sich immer die Frage gestellt werden: Wird wirklich etwas Eigenes, etwas Neues erschaffen, oder geht es eher um Kopie, Diebstahl und Plagiate?

An diesem Punkt tritt das Urheberrecht in den Hintergrund und kollektive Identitäten treten in den Vordergrund. 

Es findet nicht nur eine kulturelle Übernahme, sondern auch eine ökonomische Ausbeutung der dominanten Kultur gegenüber der marginalisierten Kultur statt. Viele Schwarze Künstler verdienen seit Jahren kein Geld mit ihrer Musik. Eines der am häufigsten zitierten Beispiele ist Elvis Presley. Er wurde berühmt als der King of Rock’n‘Roll und der Rock’n‘Roll selbst wurde berühmt. Kaum jemand weiß, dass die Ursprünge des Rock’n’Roll in der afroamerikanischen Kultur liegen und Elvis schwarze Musiker kopiert hat. Kaum jemand erinnert sich an einen der Schwarzen Pioniere des Rock’n’Roll – Little Richard. Hauptnutznießer kultureller Aneignung ist die dominante weiße Kultur, sie hat die Macht und das Privileg, die marginalisierte Schwarze Kultur zu „nutzen“, populär zu machen und damit Geld zu verdienen.

Ein weiteres Beispiel für kulturelle Aneignung in der Tanzbranche ist Madonna und ihr Song Vogue. 

Die Ballroom-Kultur entwickelte sich in den 1970er und 80er Jahren in den Schwarzen und lateinamerikanischen LGBTQI+-Gemeinschaften von Harlem (New York City) aus den ursprünglichen Drag Balls. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die ursprünglichen Drag Balls verboten, was dazu führte, dass die queere Underground-Szene private Zusammenkünfte abhielt, aus denen sich die Ballroom-Kultur entwickelte. In der Ballroom-Kultur präsentieren sich queere Menschen und insbesondere BIPoC in verschiedenen Kategorien. Bewertet werden die Wettbewerbe von einer Jury, die meist aus angesehenen Mitgliedern der Szene besteht. Die Teilnehmer laufen eine sogenannte Runway in der gewählten Kategorie.

Die Ballroom-Kultur beschränkt sich nicht nur auf das Ausrichten von Bällen. Viele Angehörige der Ballsaalkultur können ihre Sexualität und Geschlechtsidentität in ihren Herkunftsfamilien nicht ohne Diskriminierung und Ablehnung offen ausleben. Daher organisieren sich die Teilnehmer in Häusern. Diese Häuser bieten den meist Schwarzen und LGBTQ-Menschen ein familiäres Netzwerk außerhalb ihrer leiblichen Familie und erfahren Unterstützung und Orientierung in diesen alternativen Familien.

Der Voguing-Tanzstil entstand innerhalb der Strukturen der Ballroom-Kultur. Der Tanzstil ist inspiriert von den Posen der Models der Vogue sowie von ägyptischen Hieroglyphen und gymnastischen Bewegungen.

Generell wird zwischen drei Stilrichtungen des Voguing unterschieden:

  1. Old Way: beschreibt die ursprüngliche Form, die an „Winkelbewegungen“ zu erkennen ist.
  2. New Way: beinhaltet „akrobatische Formen“ und eingeführte fließende und flexible Bewegungsabläufe
  3. Vogue Femme: steht für eine fast hysterische Darstellung der Weiblichkeit.

Der Tanzstil wurde durch Madonna angeeignet und der weißen Kultur zugeschrieben. Mit dem kommerziellen Erfolg gerieten die Ursprünge der Ballroom-Culture und des Voguings in den Hintergrund. 

Dies sind nur 2 Beispiele, in denen der koloniale Einfluss auf die heutige Musik- und Tanzwelt der dominanten weißen Kultur auf die Schwarze marginalisierte Kultur deutlich wird. Dieser zieht sich durch alle Genres und die Liste ließe sich noch endlos erweitern. 

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