Veranstaltungen
Der algerische Bürgerkrieg
14km Film- und Diskussionsabend
Yema (Algerien/Frankreich, 2012, OmeU, 90 min) von Djamila Sahraoui am Mittwoch, 16.11.2016, 18:30 Uhr (Filmstart 19:00 Uhr), im Filmrauschpalast in der Kulturfabrik Moabit, Lehrter Str. 35, 10557 Berlin Moabit 14km e.V. präsentiert den fünften Filmabend der 14km Film und Diskussionsreihe 2016. Ein entlegenes kleines Haus in den Bergen Algeriens. Dieverzweifelte Ouardia, gespielt von der Regisseurin Djamila Sahraoui, begräbt ihren Sohn Tarik, der Soldat in der algerischen Armee war. Sie macht dessen Bruder Ali, den Anführer einer islamistischen Gruppierung, für Tariks Tod verantwortlich. Ali hat einen seiner Männer geschickt, um Ouardia zu bewachen. Diese pflegt hingebungsvoll ihren Garten, um diesen erblühen zu lassen. Der Film zeigt, welches Leid, welche Risse und Traumata der Bürgerkrieg in vielen algerischen Familien hinterlassen hat. Über Algerien hört man nur wenig in der deutschen Medienberichterstattung. Zuletzt geriet Algerien nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln in den Fokus der deutschen Aufmerksamkeit - unter den Stichwörtern "kriminelle junger Männer", "sicheres Herkunftsland" und "Abschiebungen". Dieser stereotypen Betrachtung möchten wir eine differenzierte Auseinandersetzung entgegensetzen. Deshalb nehmen wir mit dem Film "Yema" den algerischen Bürgerkrieg in den Fokus und stellen Fragen nach der historischen und aktuellen Entwicklung des Landes. Was passierte in Algerien während des Arabischen Frühlings? Wie ist die politische und soziale Lage heute? Was treibt die Menschen auf dem gefährlichen Weg übers Mittelmeer nach Europa? Im Anschluss an den Film wird es eine moderierte Publikumsdiskussion mit Expert*innen zu diesen Themen geben. Der Eintritt ist frei, um eine freiwillige Spende wird gebeten. Veranstaltungsort ist der Filmrauschpalast in der Kulturfabrik in Berlin Moabit statt (Lehrter Straße 35, 10557 Berlin).
Kairos Chaos-Verkehr und Ägyptens Revolution
14km Film- und Diskussionsabend
"Cairo Drive" (Dokumentarfilm, Ägypten, 2013, 79 min, OmeU) von Sherief Elkatsha am Mittwoch, 12. Oktober 2016 um 18:30 Uhr (Filmstart 19.00 Uhr) im Filmrauschpalast, Lehrter Straße 35, 10557 Berlin Moabit 14km e.V. präsentiert den vierten Filmabend der 14km Film und Diskussionsreihe 2016. Thema des Abends ist nicht nur Kairos Verkehr, sondern auch die politischen und sozialen Entwicklungen der letzten Jahre seit der ägyptischen Revolution 2011. 14km zeigt den Dokumentarfilm "Cairo Drive" des Regisseurs Sherief Elkatsha im Original (arabisch, englisch) mit englischen Untertiteln. Der Film porträtiert Menschen in Kairos chaotischem Großstadtverkehr und zeichnet damit ein größeres Bild vom vielfältigen Leben in der Metropole, von Herausforderungen und Glücksmomenten. Da Verkehr alle betrifft, kommen Menschen aus den unterschiedlichen sozialen Schichten zu Wort. Und eines haben sie alle gemeinsam: Humor. Im Anschluss folgt ein offenes Publikumsgespräch, um die Eindrücke aus dem Film zu besprechen, die Darstellung und Herangehensweise des Regisseurs zu diskutieren und über die politische und sozio-ökonomische Entwicklung Ägyptens zu sprechen. Dazu sind Gesprächspartner mit Expertise in diesem Bereich eingeladen. Das Gespräch findet voraussichtlich auf Englisch statt. Regisseur Sherif Elkatsha Sherief Elkatsha ist ein einfühlsames und originelles Portrait eines Landes im Umbruch gelungen, erzählt durch die Metapher des ägyptischen Hauptstadtverkehrs. Der Dokumentarfilm schildert Ereignisse vor, während und nach der Ägyptischen Revolution 2011. Vom Beifahrersitz unterschiedlichster Charaktere aus, illustriert der Film wie die Menschen täglich durch hektischen Verkehr, unausgesprochene Regeln und das Wirrwarr von mehr als 14 Millionen Fahrzeugen navigieren und erlaubt einen einfühlsamen Blick auf die unterschiedlichen Perspektiven, Stimmungen und Probleme, auf die Frage nach der kollektiven Identität des Landes und die Sehnsucht der Menschen voranzukommen. Die Teilnahme ist frei, um eine freiwillige Spende wird gebeten. Veranstaltungsort ist der Filmrauschpalast in der Kulturfabrik in Berlin Moabit statt (Lehrter Straße 35, 10557 Berlin). Facebook-Event
JOIN OUR 2016 ’14km Film and Discussion Series‘ TEAM!
YOU CAN JOIN THE 2016 '14km Film and Discussion Series' TEAM! - You are interested in North Africa and the Middle East? - You like to volunteer in a young team? - You enjoy to bring people with different cultural backgrounds together? - You are interested in film and documentaries? - You are good in organising? - You can help with project administration, public relations or simply support events? - You like to prepare social, political or cultural topics for our open audience discussions, moderate them, and invite speakers for this purpose? If you answered one or more questions positively, or if you are simply interested, please join our project startup meeting on Monday, 29 February 2016, at 7 pm (19:00), at Caffeteria Buchhhandlung 32, Tucholskystr.32, 10117 Berlin Mitte. 14km.org stands up for exchange and understanding between both neighbouring regions north and south of the Mediterranian Sea, in order to reduce the symbolic distance the Strait of Gibraltar (14km) sets. Since 2013 film and discussion events had been organised about current topics in North Africa or the Middle East. 14km Film and Discussion Series Feel free to contact us: film@14km.org Facebook Event
Migration, Flucht… und weitaus mehr!
14km Film- und Diskussionsreihe - Rückblick auf 2015
Dass die 14km Film- und Diskussionsreihe im Jahr 2015 ein voller Erfolg war kann man leicht beziffern: 381 Personen zählten wir insgesamt als unser Publikum, besonders erfreulich war dabei der gestiegene Anteil an Personen mit persönlichem Migrationshintergund auf 23% (im Vorjahr 16%). Das 14km-Film-Team war mit sechs Ehrenamtlichen sechs mal so groß wie 2014, das verfügbare maximale Budget war mit 2.200 Euro gut dreimal so hoch wie im Jahr zuvor und besonders auffällig: die Anzahl der Veranstaltungen stieg um 100% auf 8 Abendveranstaltungen, die zuletzt in kurzem 3-Wochen-Abstand stattfanden. Auch die Qualität haben wir gesteigert! Basis dafür war unser engagiertes Team, dass nicht mehr nur Deutschland sondern nun auch Europa und insbesondere auch Nordafrika besser repräsentierte. Zusammengesetzt nach den Herkunftsländern Deutschland, Tunesien und Spanien konnten wir so formal unserem Slogan 14km - The shortest distance between North Africa and Europe. gerecht werden und unse Vielfältigkeit auch in unsere inhaltliche Arbeit einfließen lassen. Dazu wurde "14km" auch zum Kern des Titels unserer Reihe, um die Perspektiven beider Seiten des Mittelmeeres in den auf die Filme folgenden Diskussionen besser zu verdeutlichen. Die Filmqualität haben wir bewusst ausgebaut: neben eindrücklichen Indiependent-Dokumentarfilmen zeigten wir auch professionellere Produktionen sowie erstmals auch Spielfilme, die sich zum anschließenden politischen Diskutieren eigneten. Bei der Themenauswahl berücksichtigten wir zuvor noch nicht vertretene Länder (Jemen, Sudan, Westsahara) und widmeten uns auch wichtigen länderübergreifenden Themen (Amazigh, Kinder, Migration, Popmusik, Frauen-Rechte). Bereits zu Beginn des Jahres 2015 stand die Region Nordafrika und Naher Osten im Licht großen allgemeinen Interesses. Das sich dieser Fokus im Jahresverlauf bis ins Extrem steigerte beweist die hohe Aktualität und Bedeutung unserer Arbeit. Kinder im Krieg und auf der Flucht kann man leicht als eines der zentralen Themen des Jahres in der europäischen Medienlandschaft auffinden. Mit dem cineastischen Leckerbissen Schildkröten können fliegen gaben wir diesem Thema einen besonderen Schwerpunkt: der Film spielt zu Beginn der US-Angriffe auf den Irak unter Saddam Hussein 2003 und zeigt das Leid von Kindern in Flüchtlingslagern. Einerseits liegen diese Ereignisse am Beginn einer Kette von Ereignissen, die heute große Wirkung im Irak und Syrien entfalten (Gründe für das Erstarken des "IS"). Andererseits gibt es neuerdings gerade im kurdischen Nordirak, dem Handlungsort des Films, etwas Hoffnung auf ein stabiles politisches System. Um Flüchtlingslager drehte es sich auch bei unserem Abend Migration nach Europa, dem weiteren medialen Kernthema des Jahres. Die immer weiter ansteigenden Flüchtlingsströme aus Syrien hielten die ganze Europäische Union in Atem. Mit dem Film 14 Kilometer - Auf der Suche nach dem Glück legten wir unseren kontrastierenden Fokus auf Migration an der Westseite des Mittelmeers und befassten uns dabei auch mit einer zweiten natürlichen Barriere, deren Kennzeichen ebenso Flüchtlingslager, Schleuser und Tote sind: die Sandmeere der Sahara-Wüsten. Diskutiert wurde dabei natürlich auch das zweite instabile Land der Region: Libyen. Auch wurden verschiedene Motive für Flucht bzw. Migration deutlich: ökonomische Chancenlosigkeit und persönliches Schicksaal. Motive, die über Krieg und Terror hinaus gehen - und zu Beginn des Jahres 2016 in der europäischen Diskussion um illegale Immigration und Kriminalität wieder hoch aktuell sind. Für unsere Reihe hatten wir uns das Ziel gesetzt, nicht nur innerhalb der Diskussionen ein breites Spektrum an Informationen, Eindrücken und Meinungen zu vermitteln, sondern dies auch mittels einer variantenreichen Themenvielfalt zu tun. Nordafrika und der Nahe Osten bestehen eben aus mehr als den bekannten Kriesenherden Syrien und Libyen. Auch anderswo in der Region gibt es Krieg, Terror und Flucht. Etwas weniger im europäischen Fokus steht dabei der Jemen, wo derzeit ein schiitisch-sunnitischer Krieg stellvertretend für die Regionalmächte Saudi Arabien und Iran ausgetragen wird. Wir näherten uns mit dem Film Expedition Yemen der Kultur und Gesellschaft des Landes aus der provozierenden Sicht eines egozentrischen europäischen Abenteueres, und diskustierten intensiv Stereotype, kulturelle und gesellschaftliche Fragen und insbesondere die Rolle von Frauen im Jemen. Weitere Krisengebiete sind in Europa derzeit so gut wie vergessen. Der Darfur-Konflikt im Sudan, so die Lektion unserer Veranstaltung mit Vorführung von Darfur's Skeleton, hat an Dramatik kaum eingebüsst und sich keiner realistischen Lösung genähert. Eindringlich waren die Diskussionen zwischen Sudanesen im Publikum, insbesondere als ein junger Mann mit feuchten Augen fragte, wie er das Land aufbauen solle, wenn sich niemand aus dem Haus traue, da rein willkürlich Menschen erschossen würden. International finde das dortige Drama kaum noch Beachtung, da ausländische Berichterstattung effektiv verhindert werde. Wenig europäische Beachtung findet ein weiterer Konflikt: die Unabhängigkeitsbewegung Westsaharas gegenüber Marokko. Dieser Konflikt ist bisher sehr friedlich, dies bezeugt auch der Dokumentarfilm Life is Waiting. Die Aktivisten diskutierten mittlerweile jedoch aus ihrem Frust der Erfolglosigkeit heraus militanter zu werden, um den Status als "letzte Kolonie Afrikas" zu beseitigen. Drei weitere sehr spannende Themen hatten einen kulturell-gesellschaftlichen Hintergrund. Auf die Region um Marokko, Tunesien, Algerien und Libyen bezog sich unser Themenabend Amazigh (Berber). Dabei lag der Fokus des Films Azul auf dem Leben dieser indigenen Minderheitengruppe in Tunesien, während sich die Diskusion auf Marokko konzentrierte. Es stellt sich die Frage, wie mit diesem kulturellen Erbe umgegangen werden solle: mit neuem Stolz oder doch mit Scham? Rund um die Alltagskultut der Länder Nordafrikas spannten sich auch die Diskussionen nach den beiden noch nicht genannten Filmen. Die Quelle der Frauen spielt in der Region der Amazigh. Wir diskutierten die Lage der Frauen-Rechte in Nordafrika auch in Bezug auf Tradtion und Moderne, Fragen der Macht, Freiheit, Emanzipation und der Sexualtität. Wir näherten uns also gewissermaßen der Quelle des Lebens! Dieses Themengebiet, Frauen und Männer, provozierende Offenheit und kulturell induzierter Scham, begannen wir bereits in Bezug zur Festmusik (Mahragan) Ägyptens zu diskutieren - eingebettet im Thema politische Pomusik. Der Film Electro Chaabi leitete dazu mit dem Portrait junger Musiker in Kairo ein. Wie üblich beendeten wir unserer Veranstaltung mit einem umfassenden Bericht, der auch Zusatzinformationen aus dem Publikum aufnahm. In diesem Fall zwei rare Beispiele für Electro Chaabi von Musikerinnen. Unser herzlichster Dank geht zunächst an unser treues und engagiertes Publikum, dessen aktive Beteiligung die Würze unserer Veranstaltungsreihe liefert. Wir bedanken uns bei der Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit (LEZ) der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung für ihre finanzielle Förderung, die unsere 14km Film- und Diskussionsreihe 2015 überhaupt erst ermöglichte, sowie bei Herrn Walter Hättig und der Stiftung Nord-Süd Brücken für die damit verbundene hilfreiche Unterstützung. Ein Dankeschön hat sich auch das ehrenamtliche Team des Filmrauschpalastes verdient, das uns an allen acht Abenden beherbergte und Projektionen digitalen und analogen Formats (35mm) ermöglichte. Bei dieser Gelegenheit danken wir auch den Verleihern für die Aufführungsrechte der gezeigten Filme. Unseren geladenen Gästen danken wir an dieser Stelle ausdrücklich noch einmal, denn ohne Ihre Auskünfte und Beiträge als Experten/innen (Referenten/innen) und Zeitzeugen/innen wäre keine glaubwürdige und authentische Diskussion möglich gewesen. Mein herzlichster Dank geht - last but not least - an mein 14km-Film-Team. Carolin Bannorth, Silvia Limiñana, Khouloud Khalfallah, Houssein Ben Amor und Steffen Benzler - eure Mitarbeit hat unser engagiertes Projekt überaus interessant und erfolgreich gemacht! Im Namen des Film-Teams spreche ich für die zusätzliche Unterstüzung von Susanne Kappe, Alex Odlum, Sarah Müller, Jana Vietze, Caroline Bunge und Helena Burgrova ein Dankeschön aus. Berlin im Januar 2016 Andreas Fricke (Projektleiter) Wir bedanken uns für die Unterstützung:
1. Interkulturelles Seminar am 30.01.2016 in Berlin
Ab Januar 2016 führt das Team von 14km e.V. - the shortest distance between North Africa and Europe interkulturelle Seminare durch. Ziel ist es, für künftige Auslandsaufenthalte in der Region Nordafrika und Naher Osten zu sensibilisieren. Dabei wollen wir unser Wissen und unsere Auslandserfahrungen in der Region Nordafrika und Naher Osten gern weitergeben und Euch auf die kulturellen Besonderheiten und Unterschiede in der Region vorbereiten. An dem ganztägigen, interaktiven Workshop möchten wir Euch durch Vorträge grundlegende Informationen vermitteln. Mit Hilfe verschiedener Methoden wollen wir zu einem lebendigen und erfahrungsorientierten Lernen anregen. Dabei sollen auch mögliche Vorurteile und Stereotype thematisiert bzw. reduziert werden. Kosten Das Seminar kostet 25 € inkl. der Bereitstellung von kleinen Snacks in der Mittagspause und Getränken. Für Schüler und Studenten gibt es eine Ermäßigung von 5 €. Termine Das erste Seminar wird am 30.01.2016 stattfinden. Weitere Termine werden folgen. Außerdem besteht die Möglichkeit ab einer interessierten Gruppe von 5 Personen individuelle Termine für ein Seminar mit uns zu vereinbaren. Interesse? Kontaktiert uns gern oder meldet Euch an unter: InterKult@14km.org Homepage 14km Interkulturelles Seminar
„Mahragan“ – Musik als Revolution
Während die politischen Akteure der revolutionären Tahrir-Generation ins Hintertreffen geraten sind, brodelt es weiterhin in der ägyptischen Gesellschaft. Der „Mahragan“ mit seinen oftmals blasphemischen, aber ehrlichen Texten könnte das bleibende Symbol für die seit 2011 errungene Redefreiheit werden. An unserem 7. Film- und Diskussionsabend 2015 widmeten wir uns diesem popkulturellen Phänomen und seiner Entstehung in den Kairoer Armenvierteln. Mit „Electro chaabi“ beschreibt die Regisseurin Hind Meddeb den Aufstieg des gleichnamigen Musikstils (der auch „Mahragan“ = „Fest“ genannt wird) – von den Armenvierteln Kairos in den Mainstream der ägyptischen Popkultur. Begleitet und porträtiert werden Pioniere des Mahragan (DJ Amr Haha, DJ Ramy, DJ Vigo, Figo, MC Alaa 50 Cent, MC Sadat, Oka & Ortega, Weza – die letzten drei traten auch zusammen als „Eight Percent“ auf), die mit alten PCs, Keyboards und im Internet gefundenen Remix-Programmen begannen, die traditionelle Sha'abi-Musik elektronisch neu zu erfinden. Die oftmals schrillen Rhythmen werden begleitet von verzerrten Sprechgesängen, deren Texte sarkastisch und provokant ehrlich die Sorgen des Alltagslebens in den Armenvierteln aufgreifen. Immer wieder erklären die Künstler ihren Erfolg damit, dass sie in ihren Texten das sagen, was die Menschen auf der Straße denken. Oft handelt es sich dabei um Banalitäten oder humorvolle Zuspitzungen. Zuweilen scheuen sie sich aber auch nicht, politische Themen aufzugreifen. Porträtiert werden die Künstler beim Einüben ihrer Lieder, durch Interviews mit ihren Verwandten und bei Liveauftritten auf insgesamt vier Hochzeiten – dort, wo die Electro Sha'abi-Musiker erstmals Berühmtheit erlangten und von wo aus ihre Lieder über Mitschnitte und YouTube-Videos rasant verbreitet wurden; bis sie schließlich in den Straßen und öffentlichen Verkehrsmitteln ihrer Viertel omnipräsent waren. Der Film taucht ein in eine männlich-dominierte, jugendliche Subkultur, die sich innerhalb einer streng regulierten Gesellschaft über die Kunst einen Raum der freien Rede erkämpft hat. Beispielhaft für derartige Regeln steht die auch von den Mahragan-Sängern unkritisch hingenommene Rollenverteilung der Geschlechter: Frauen und Männer tanzen nie zusammen, immer separat. Durchgängig bietet der Film seltene Einblicke in die dicht besiedelten Gässchen und Hinterhöfe der ärmeren Vororte Kairos, wo sich unzählige Tuk-Tuks hupend in einem schier endlosen Häusermeer tummeln, wo sich (z.T. brennende) Müllberge an den Straßenrändern stapeln und Minderjährige ihr erstes Geld als Tuk-Tuk-Taxifahrer verdienen. Die Vorstädte wirken abgekoppelt von der öffentlichen Ver- und Entsorgung, ausgegrenzt. Der von den DJs besungene Drogenkonsum scheint vielen Bewohnern Erleichterung zu bieten. Er gehört zum Alltag selbst der Kinder. Während ein Großteil des Films in Stadtteilen wie Imbaba, Al-Matariyyah, El-Salam City spielt, verlagert sich das Geschehen am Ende in die Kairoer Innenstadt. Der Mahragan ist auf dem Weg in den Mainstream. Oka & Ortega unterschreiben ihren ersten Vertrag bei einer Plattenfirma und nutzen die Chance, um zu nationalen Berühmtheiten zu werden. Sie sind bei Talkshowauftritten zu sehen. Man erfährt, dass sie durch die Kairoer Clubs touren und auf Hochzeiten der gehobenen Schichten in Fünf-Sterne-Hotels spielen. Für ein Interview nach ihrem Durchbruch standen sie der Regisseurin anscheinend nicht mehr zur Verfügung. Ihr langjähriger Partner Weza hingegen wurde von dem Vertrag ausgenommen. Er bleibt zurück in den Vororten und beklagt am Ende des Films, wie es zum Bruch zwischen den dreien kam. Im anschließenden Publikumsgespräch mit Mohammed Abdelmageed M. Hussien und Ahmed Awadalla, die in Ägypten die Entstehung des Electro Sha'abi miterlebten, fand eine Einordnung des Films statt. Ahmed Awadalla wies darauf hin, dass die im Film gezeigten Lebensverhältnisse der Armenviertel, aus denen die Mahragan-Pioniere kommen, für 30 Prozent der ägyptischen Gesellschaft gelten. Der Mahragan repräsentiere diesen Teil der Bevölkerung direkt, wobei es weitere 30 Prozent gebe, die sich ebenfalls von dem Phänomen angesprochen fühlen. (Der Anteil der Jugendlichen in der ägyptischen Gesellschaft liege ebenfalls bei ca. 60 Prozent.) Der Musikstil sei bereits vor der Revolution entstanden – 2007/8 – und sei anfangs die Musik der Arbeiterklasse gewesen, die auf der Straße und auf Hochzeiten in Orten Kairos gespielt wurde, die nicht repräsentativ für die ägyptische Gesellschaft als Ganzes stünden. Erst mit der Revolution habe sich ein Raum aufgetan, der die Klassenschranken überwand. Während die Medien den Mahragan zuvor ignorierten, eroberte er in den letzten Jahren nicht nur die „Straße“, sondern auch die (Massen-)Medien. Mohammed Abdelmageed M. Hussien erklärte, dass Electro Sha'abi eine Fusion aus elektronischen Einflüssen und dem älteren Sha'abi (eine ägyptische Volksmusik) sei, der auch in seiner Heimat Oberägypten üblicherweise auf Hochzeiten gespielt werde. Er sei die Musik der einfachen Leute und ihrer Geschichten, in der Regel sei er weder kulturell bildend noch politisch. Aus dem Publikum wurde darauf hingewiesen, dass der Electro Sha'abi sich klar von dieser Tradition abhebe und zu einer durchaus kritischen „Stimme der Armen“ geworden sei. Er stehe für die Dynamik der aktuellen ägyptischen Gesellschaft. Der Frage, ob der Mahragan mit ähnlichen Phänomenen wie dem Gangster Rap in den USA oder Baile Funk in Brasilien vergleichbar sei und ob er Teil einer globalen Bewegung sei, konnte nur in Teilen zugestimmt werden. Alle drei wurden im Rahmen einer Repressionsgeschichte entwickelt und es gebe viele gemeinsame Motive wie Drogen, Gewalt, Sex oder in manchen Fällen auch Politik. In Ägypten gebe es jedoch die revolutionäre Komponente. Der Mahragan passe dadurch besser zu Hip Hop und Blues, die zur Emanzipationsgeschichte des US-amerikansichen Civil Rights Movement gehören. Auf die Frage, wie es um den Mahragan nach dem Militärcoup stehe, betonte Ahmed Awadalla, dass die Musik immer noch präsent sei. Momentan finde jedoch eine Debatte statt, ob sie Gewalt und Drogenmissbrauch fördere (genauso wie bei den populären Sobky-Filmen). Es gebe immer mehr Verbote. Darauf, dass das Besingen von Drogen in Ägypten historisch nichts Neues ist, wurde aus dem Publikum mit einem Verweis auf Texte aus den 1920er Jahren angemerkt. Der als Tradition verklärte Sha'abi sei in Wirklichkeit ein junges Phänomen aus der Zeit der politischen und ökonomischen Transformation in den 1970ern. Ein weitere Einwurf aus dem Publikum wies auf die Paradoxie hin, dass die provokanten Texte und Auftritte des Electro Sha'abi ausgerechnet in den Armenvierteln entstanden, wo sich gleichzeitig konservative und islamistische Bewegungen ausbreiten. Mohammed Abdelmageed M. Hussien erklärte dies damit, dass die Armenviertel prekäre Orte seien, in denen momentan alles ständig neugeformt werde. Deshalb gebe es derartige, durchaus konfliktträchtige Entwicklungen. Passend zum Thema unseres kommenden Film- und Diskussionsabend am 9. Dezember entspann sich eine rege Diskussion um die im Film fehlende Präsenz der Frauen: „Warum treten Männer und Frauen immer in getrennten Gruppen auf? Gibt es die neue Freiheit auch für Frauen? Wollen sie nicht sprechen?“ Aus dem Publikum wurde angemerkt, dass es in der MENA-Region das Konzept gebe, „dass alles aufgeteilt werden kann“. Es werde dort als normal hingenommen, dass Frauen und Männer sich nicht vermischen, sondern auf Distanz zueinander bleiben. Dies heiße aber nicht zwangsläufig, dass Frauen unterdrückt sind. Vielmehr hätten sie eine eigene Lebenssphäre, die im Film einfach nicht gezeigt werde. Der Film zeige nur die Jungs und damit nicht ein Bild der ganzen Gesellschaft. Von einer weiteren Kommentatorin wurde darauf hingewiesen, dass es sogar gefährlich sein könne, diese unsichtbaren Grenzen zu überschreiten. Besonders Mädchen und Frauen seien dann von Belästigungen oder Schlimmerem bedroht. Auch wurde angemerkt, dass in den oberen Gesellschaftsschichten Ägyptens und auf Popmusikfestivals beide Geschlechter zusammen tanzen und es diese strenge Separation nicht gebe. In der Öffentlichkeit der Armenviertel sei allerdings auffällig, dass nur die jungen Männer die Chance ergriffen, öffentlich zu sagen, was sie wollen. Als abschließender Hinweis wurde noch vermerkt, dass es auch öffentliche Mahragans von und für Frauen gebe, diese seien aber weder groß noch berühmt. Hier ein paar Beispiele: Unser Gast Ahmed Awadalla bloggt. Kurzbiografie der Regisseurin Hind Meddeb Musiktipps aus dem Publikum Filmbesprechung auf norient Veranstaltungsleitung und Moderation: Andreas Fricke Koordination vor Ort: Andreas Fricke Text: Steffen Benzler Fotos: Jana Vietze Übersetzung ins Englische: Alex Odlum Programm: das ehrenamtliche 14km Film Team Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit – gefördert. Thema des nächsten Film- und Diskussionsabends am 9. Dezember werden Frauenrechte in Nordafrika sein. Infos zum Termin und gezeigten Film "Die Quelle der Frauen" gibt es hier. Übersicht der 14km Film- und Diskussionsabende 2015 Wir bedanken uns für die Unterstützung:
Frauen-Rechte in Nordafrika
14km Film- und Diskussionsreihe
„Die Quelle der Frauen“ (Spielfilm, Belgien/Italien/Frankreich 2011, OmU, 125 min) von Radu Mihaileanu am Mittwoch, 09. Dezember 2015 um 18:00 Uhr im Filmrauschpalast, Lehrter Straße 35, 10557 Berlin-Moabit 14km e.V. präsentiert den achten Filmabend der '14km Film und Diskussionsreihe' 2015: Der Film „Die Quelle der Frauen“ (Arabisch mit deutschen Untertiteln) spielt in einem Dorf in Nordafrika. Regisseur Radu Mihaileanu zeigt die Tradition, die den Frauen auferlegt, mühsam Wasser von der Quelle über Bergpfade ins Dorf zu schleppen. Als die Frauen nun jedoch beginnen dagegen zu protestieren und nach einer Wasserleitung verlangen, entwickelt sich ein Konflikt um Macht, Tradtion und Religion – und besonders um die Rolle der Geschlechter. Im anschließenden Publikumsgespräch mit geladenen Gästen wird die Rolle von Frauen und der Kampf um Frauenrechte in den Ländern und Gesellschaften Nordafrikas diskutiert. Die Teilnahme ist frei, um eine freiwillige Spende wird gebeten. Facebook-Event Veranstaltungsort ist der Filmrauschpalast in der 1. Etage des Hinterhofs der Kulturfabrik in Berlin Moabit: Lehrter Straße 35, 10557 Berlin. Filmseite des Verleihs Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit - gefördert. Dies ist der letzte von acht 14km Film- und Diskussionsabenden 2015. Die Veranstaltungen widmen sich einem einzelnen Land oder einem spezifischem Thema, um mittels eines aktuellen Films einen künstlerisch-dokumentarischen Einblick zu ermöglichen. Anschliessend wird das Thema in einem offenen Publikumsgespräch mit einer Person aus Berlin mit persönlichen Erfahrungen (Zeitzeuge, Migrationshintergrund) sowie einer Referent/in aus der Wissenschaft intensiv erörtert werden, immer auch mit Bezug zu Nord-Süd-Verhältnissen. Wir bedanken uns für die Unterstützung:
Das lang ignorierte Vorspiel zur europäischen Flüchtlingsproblematik
Filmvorführung "14 KILOMETER - Auf der Suche nach dem Glück"
Tausende von Flüchtlingen überqueren momentan täglich die Grenze nach Deutschland und suchen nach einer sicheren Bleibe. Daran, dass diese Situation in Europa nichts Neues ist, erinnert unser 6. Film- und Diskussionsabend 2015 mit Gerardo Olivares' Film „14 Kilometer – Auf der Suche nach dem Glück“ und Harald Glöde von Borderline Europe auf dem Podium. Drei Flüchtlinge – Violeta aus Mali sowie die zwei Brüder Buba und Mukela aus Niger – begleitet der semi-dokumentarische Film „14 Kilometer – Auf der Suche nach dem Glück“ auf ihrem beschwerlichen Weg nach Europa. Es zeichnet sich früh ab, dass die drei bei jeder Gelegenheit über den Tisch gezogen werden. Mit der Ankunft in Agadez beginnt für sie der knallharte Flüchtlingsalltag. Als Passagiere auf einem maximal beladenen Lkw in Richtung algerische Grenze werden sie von willkürlich agierenden Kontrollposten und korrupten Grenzbeamten schikaniert. Geht den Flüchtenden das Geld aus, müssen sie sich mit niedrigsten Arbeiten über Wasser halten, um sich irgendwann die Weiterreise leisten zu können. So gerät die ursprünglich vor einer Zwangsverheiratung geflohene Violeta mehrmals in Situationen sexueller Ausbeutung. Ausbeutung, Lebensgefahr und ein unbändiger Wille In der Wüste Ténéré, im Norden Nigers, stoppt der Lkw. Auf die drei ins algerische Tamanrasset Weitereisenden wartet ein vierstündiger Fußmarsch durch die Wüste („Richtung Nordwesten“), während der Lkw in eine andere Richtung weiterfährt. Die drei Hauptakteure freunden sich an – und sie verirren sich. Statt den angepeilten Grenzort zwischen Niger und Algerien zu erreichen, laufen sie im Kreis, bis sie erschöpft im Schatten einiger Akazien zusammenbrechen. Für Mukela kommt jede Hilfe zu spät, Violeta und Buba werden in letzter Minute von zwei zufällig vorbeiziehenden Tuareg gerettet. Die bedingungslose Gastfreundschaft der traditionell lebenden Nomaden bietet die einzige Verschnaufpause auf dem Weg nach Europa. Weiter geht es über die algerisch-marokkanische Grenze, die nach mehreren Versuchen und dank einer chaotischen Bürokratie überquert werden kann. In Marokko zeigt der Film zum ersten Mal eine staatliche Autoritätsperson, die die missliche Lage der Flüchtlinge nicht ausnutzt und sogar hilft. In Tanger bezahlen Buba und Violeta mit ihrem letzten Geld einen nobel gekleideten Schleuser für die Bootsfahrt über die Meerenge von Gibraltar. Nach der gelungenen Überfahrt, bleibt ihnen nicht viel Zeit zur Freude. Verfolgt von der Polizei verstecken sie sich zunächst in den Wäldern, bis sie bemerken, dass auch die Beamten der Guardia Civil gerne Mal ein Auge zudrücken. Die Flüchtlinge können unbehelligt weiterreisen. Vor ihnen steht eine ungewisse Zukunft. Der 2008 gedrehte Film zeigt das lang ignorierte Vorspiel zur aktuellen europäischen Flüchtlingsproblematik. Die letzte Szene beschreibt die heutige Situation an Europas Außengrenzen sehr treffend. Die Fluchtrouten haben sich geändert, die Fluchtgründe bleiben dieselben Dass der Film sehr realitätsnah ist, bestätigte Harald Glöde von Borderline Europe, der im anschließenden Publikumsgespräch den Film in den aktuellen Kontext einordnete. Die im Film gewählte Route werde laut Glöde nur noch selten eingeschlagen, da Marokko strenger kontrolliere und Kriegsschiffe von Frontex die Meerenge von Gibraltar und die Kanarischen Inseln abriegeln. Trotzdem gebe es in den Bergen um die mit hohen NATO-Stacheldrahtzäunen eingehegten Enklaven Ceuta und Melilla tausende Flüchtlinge, die regelmäßig Massenaktionen planen, bei denen in der Regel einige wenige erfolgreich über die Zäune kämen. Wegen der schwachen staatlichen Strukturen und den gefährlichen islamistischen Milizen, kämen kaum Flüchtlinge über Algerien und Mali. Die Hauptroute aus dem subsaharischen Raum verlaufe heutzutage von Agadez direkt nach Libyen, wo sich Milizen über Schleusergeschäfte finanzieren. Laut Sea-Watch gebe es in Libyen zwei wohlbekannte Auslaufpunkte, an denen Europa humanitär helfen könnte, es aber unterlässt. Über diese Wege dürften die rund 150.000 Flüchtlinge in Italien gekommen sein. Mit 450.000 Flüchtlingen sei allerdings Griechenland für viele die erste Anlaufstelle in der EU. Zum einen liege das daran, dass dort die Dublin-Regel außer Kraft gesetzt ist, Flüchtlinge können weiterreisen. Andererseits habe das auch mit der Nähe zur Türkei zu tun, die selbst schon Millionen Syrer aufgenommen hat. Neue syrische Flüchtlinge gingen lieber nach Europa. Viele Alternativen hätten sie nicht. In Nordafrika gebe es nur in Marokko – über das UNHCR – die Möglichkeit zu einer legalen Bleibemöglichkeit. Algerien, Tunesien, Libyen, und Ägypten böten keine Asylverfahren. Als Entrechteten und rassistisch Diskriminierten bliebe den Flüchtlingen dort lediglich ein prekäres Leben als billige Arbeitskräfte für Landwirtschaft, Gastronomie, etc. Auch reichere arabische Staaten wie Kuweit und Saudi-Arabien zeigten kein Interesse an einer Aufnahme der Geflohenen. Im Gegensatz zu den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien seien die Fluchtgründe aus Subsahara-Afrika hauptsächlich in den fehlenden Zukunftsperspektiven zu finden. Zum Teil sei das europäische Flüchtlingsproblem hausgemacht, wenn man die Fischereiabkommen mit afrikanischen Staaten, sowie die Logik z.B. des Milchpulver- und Fleischexports bedenke. Dazu komme der Klimawandel, der den Menschen die Existenzgrundlagen entziehe. Deshalb seien die Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen neben den bekannten Ländern Syrien, Eritrea, Afghanistan, Pakistan, Irak und Somalia eben auch Staaten wie der Tschad, Nigeria, Ghana oder Kenia. Militärische, humanitäre und politische Maßnahmen Auf die Frage, ob es möglich sei, Fluchtwege sicherer zu gestalten, wies Glöde darauf hin, dass dieses Ziel mit den momentan in der Politik debattierten Maßnahmen verfehlt würde. Stattdessen werde Symbolpolitik betrieben. Weder von der EU finanzierte Lager in Nordafrika, noch Asylzentren in Griechenland und Italien würden das Problem lösen. Man könne Flüchtlinge nicht „wie Pakete zwischenlagern“, wurde aus dem Publikum zugestimmt. Die Aushandlung eines europäischen Verteilungsschlüssels für 100.000 Flüchtlinge ist für Glöde in Anbetracht der Gesamtzahlen ein Witz und indem man Staaten, in denen systematische Ausgrenzung und Elend herrschen, zu sicheren Drittstaaten erkläre, beseitige man keine Fluchtgründe. Gleichsam wies er darauf hin, dass die EU-Außengrenzstaaten schon seit Jahren das Dublin-System reformieren wollten, dies aber immer von der deutschen Politik abgelehnt wurde. Deutschland konnte es sich dank seiner Mittellage bequem machen, während Spanien, Griechenland, Ungarn und Italien auf sich allein gestellt waren. Erst jetzt, wo es selbst betroffen sei, poche Deutschland auf Reformen. Die einzige Lösung, um der Situation langfristig die Dramatik zu nehmen, sei die Schaffung legaler Zuwanderungswege für Flüchtlinge. Ein weiteres Beispiel für Symbolpolitik sah Glöde in der Umbenennung der European Union Naval Force – Mediterranean (EU NAVFOR Med) in „Operation Sofia“ – nach dem Mädchen, das am 22. August 2015 bei einer Rettungsaktion vor der libyschen Küste auf einem Militärschiff zur Welt gekommen ist. Es sei der Versuch der militärischen Operation gegen Schleuserbanden einen humanitären Anstrich zu verleihen. Sie teile sich in drei Phasen: 1. Aufklärung, 2. Umleitung/Beschlagnahmung und 3. Zerstören der Schleuserboote (in Libyen). Phase 2 sei im Oktober 2015 eingetreten, für die dritte sei noch kein Datum absehbar. Neben den Einsätzen von Frontex und den Küstenwachen seien von zivilgesellschaftlicher Seite ein Schiff von Seawatch, zwei Schiffe von Ärzte ohne Grenzen sowie ein Schiff einer maltesischen Millionärsfamilie explizit zur Seenotrettung unterwegs. Motive der Flüchtlingspolitik Gefragt, ob die Brandstiftungen und Pegida sich negativ auf die Arbeit mit Flüchtlingen auswirken, erklärte Glöde, dass das Pendel in beide Richtungen ausschlage. Man müsse die unerwartet große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung würdigen, „Pegida ist ein sächsisches Problem“. Dass allerdings die Politik die Lage zum Stimmenfang ausnutze, um repressivere Maßnahmen einzuleiten, sei „Lichtjahre entfernt von der Willkommenskultur, die in der Zivilgesellschaft gelebt wird“. Angela Merkels Bekenntnis zu einer Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn müsse man im außenpolitischen Kontext sehen, es gehe um internationales Prestige, um das Ansehen Europas und Deutschlands als Führungsnation in Europa. Presseheft zum Film Filme zum Thema MIGRATION in der 14km Filmdatenbank Veranstaltungsleitung und Moderation: Andreas Fricke Koordination vor Ort: Andreas Fricke Text: Steffen Benzler Fotos: Jana Vietze Übersetzung: Alex Odlum Programm: das ehrenamtliche 14km Film Team Am 11. und 12. Juli 2014 hat 14km e.V. auf der Fachkonferenz zum Thema “Flucht // Migration // Entwicklung” mit Wissenschaftler/innen, Diasporaorganisationsvertreter/innen, Menschenrechtsaktivist/innen und interessierten Teilnehmer/innen die verschiedenen Facetten der Migration zwischen Nordafrika und Europa diskutiert. Den Verlauf der Fachtagung sowie die Protokolle der Diskussionen und weitere interessante Downloads gibt es hier. Weitergehende Informationen: Nahrain Al-Mousawi (EUME) arbeitet derzeit an einem Buch über Erzählungen von Migranten über die geographischen Sperren Mittelmeer und Sahara. Beide natürlichen Grenzen analysiert sie sowohl als trennend als auch als verbindend für die betroffenen Menschen. Ronja Kempin und Ronja Scheler (SWP 2015): "Migration nach Europa: Mehr außenpolitisches Engagement der EU in ihrer Nachbarschaft nötig" Sabine Riedel (SWP 2015): "Fluchtursache Staatszerfall am Rande der EU - Die europäische Verantwortung" Reiner Klingholz und Stephan Sievert analysieren die steuernden Faktoren der Migration über das Mittelmeer: "Krise an Europas Südgrenze" (Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2014) Wolfgang Grenz, Julian Lehmann und Stefan Keßler (BpB 2015): "Schiffbruch - Das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik" Andrea Di Nicola, Giampaolo Musumeci (BpB 2015): "Bekenntnisse eines Menschenhändlers - Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen" Paul Collier (BpB 2015): "Exodus - Warum wir Einwanderung neu regeln müssen" Karl-Heinz Meier-Braun, Reinhold Weber (Hg. / BpB 2014): "Migration und Integration in Deutschland - Begriffe – Fakten - Kontroversen" Wolfgang Bauer (BpB 2015): "Über das Meer - Mit Syrern auf der Flucht nach Europa" Ralph A. Austen (BpB 2014): "Sahara - 1000 Jahre Austausch von Ideen und Waren" Charlotte Wiedemann (BpB 2015): "Mali oder das Ringen um Würde - Meine Reisen in einem verwundeten Land" Dominic Johnson (BpB 2013): "Afrika - vor dem großen Sprung" Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit – gefördert. Thema des nächsten Film- und Diskussionsabends am 18. November wird politische Popmusik in Kairo sein. Infos zum Termin und gezeigten Film "Electro Chaabi" gibt es hier. Weitere Film- und Diskussionsabende sind an folgenden Terminen in Planung: 18. November / 9. Dezember Wir bedanken uns für die Unterstützung:
Politische Popmusik in Kairo
14km Film- und Diskussionsreihe
„Electro Chaabi“ (Dokumentarfilm, Frankreich/Ägypten 2013, OmeU, 77 min) von Hind Meddeb am Mittwoch, 18. November 2015 um 18:45 Uhr im Filmrauschpalast, Lehrter Straße 35, 10557 Berlin-Moabit 14km e.V. präsentiert den siebten Filmabend der '14km Film und Diskussionsreihe' 2015: Im Film „Electro Chaabi“ (Arabisch mit englischen Untertiteln) begleitet die Regisseurin Hind Meddeb junge Männer aus einem Armenviertel Kairos, die mit ihrem eigenen Musikstil, mit elektronischen und Hip-Hop-Elementen als DJs berühmt werden. Sie spielen auf Straßenfesten und Hochzeiten. Während der Revolution schreiben sie auch politische Texte und werden bald zu landesweiten Stars. Im anschließenden Publikumsgespräch mit geladenen Gästen soll musikalische (Pop-)Kultur als Sprachrohr der jungen Generation im Ägypten nach der Revolution diskutiert werden. Die Teilnahme ist frei, um eine freiwillige Spende wird gebeten. Facebook-Event Veranstaltungsort ist der Filmrauschpalast in der 1. Etage des Hinterhofs der Kulturfabrik in Berlin Moabit: Lehrter Straße 35, 10557 Berlin. Electro Chaabi Trailer from Monoduo Films on Vimeo. Filmseite des Verleihs Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit - gefördert. Weitere Film- und Diskussionsabende sind an folgenden Terminen in Planung: 9. Dezember Die Veranstaltungen widmen sich einem einzelnen Land oder einem spezifischem Thema, um mittels eines aktuellen Films einen künstlerisch-dokumentarischen Einblick zu ermöglichen. Anschliessend wird das Thema in einem offenen Publikumsgespräch mit einer Person aus Berlin mit persönlichen Erfahrungen (Zeitzeuge, Migrationshintergrund) sowie einer Referent/in aus der Wissenschaft intensiv erörtert werden, immer auch mit Bezug zu Nord-Süd-Verhältnissen. Wir bedanken uns für die Unterstützung:
„Unsere Geduld hat bald ein Ende!“
Der vergessene Widerstandskampf der Sahrawis in der letzten Kolonie Afrikas
In der Westsahara kämpft das Volk der Sahrawis seit Jahrzehnten um seine politische Unabhängigkeit von Marokko. Gegen Vertreibungen und unzählige Menschenrechtsverletzungen durch die marokkanischen Besatzer wehrten sich die Sahrawis erst militärisch, seit einem Friedensschluss 1991 allerdings durch friedlichen Widerstand. Dass der Konflikt um die letzte Kolonie Afrikas international kaum in der Öffentlichkeit diskutiert wird, war ein Beweggrund, ihn zum Thema des fünften Abends der 14km Film- und Diskussionsreihe zu machen. Mit der Dokumentation „LIFE IS WAITING – Referendum and Resistance in Western Sahara“ gibt die brasilianische Filmemacherin und politische Aktivistin Iara Lee dem Wüstenvolk der Sahrawis und ihrem fast vergessenen Kampf um nationale Selbstbestimmung eine Stimme. Der Film blickt auf die Geschichte des über 40 Jahre andauernden Konflikts im nordwestlichen Afrika und zeigt die Lebensumstände und den gewaltlosen Widerstand der Bewohner Westsaharas. Als sich die Kolonialmacht Spanien 1975 aus dem Gebiet zurückzieht, marschieren marokkanische und mauretanische Truppen ein, um das rohstoffreiche Territorium völkerrechtswidrig zu besetzen. Wenig später ruft die sahrawische Befreiungsbewegung Frente Polisario die unabhängige „Demokratische Arabische Republik Sahara“ aus und es kommt zum Krieg. Mauretanien zieht sich 1979 zurück, doch Marokko gibt seine Gebietsansprüche nicht auf. Zehntausende Sahrawis sind gezwungen, vor den marokkanischen Napalm- und Phosphorbomben ins algerische Exil zu fliehen, wo sie zum Teil bis heute in Flüchtlingslagern leben und durch eine über 2.700 km lange verminte Maueranlage abgeschottet sind. Obwohl es 1991 offiziell zum Waffenstillstand kommt, ist der Konflikt alles andere als gelöst. Die von den Vereinten Nationen eingesetzte Friedensmission MINURSO, die den Waffenstillstand und die Durchführung eines Referendums sicherstellen soll, ist gescheitert. Das Referendum ist bis heute ausgeblieben. Stattdessen nimmt die alltägliche Gewalt der marokkanischen Truppen gegen die Sahrawis zu. Doch diese wehren sich. Der Film lässt die vielen sahrawischen Aktivisten zu Wort kommen, die durch Kunst und politische Aktionen ihren Widerstand ausdrücken. So wie der junge Rapper Flitoox Craizy. Selbstbewusst rappt er in die Kamera, singt von Freiheit und Frieden. Obwohl er von der marokkanischen Polizei schlimm gefoltert wurde, setzt er sich weiter für die Rechte seines Volkes ein. Ebenso Aminatou Haidar, die wohl bekannteste sahrawische Menschenrechtsaktivistin. Sie wurde bei einer Demonstration verhaftet und über vier Jahre lang in einem marokkanischen Gefängnis gefoltert. „Meine Kinder können ohne Eltern aufwachsen, aber nicht ohne Würde“, begründet sie ihren Kampf für Gerechtigkeit und Unabhängigkeit ihrer Heimat. Der Film ist der kürzlich verstorbenen, sahrawischen Sängerin Mariem Hassan gewidmet, die „Stimme der Sahara“. Sie begleitete ihr Volk über Jahrzehnte mit Liedern über den Widerstand, Geschichten vom Alltag im Exil und der Identität der Sahrawis. Sie ist ein Beispiel dafür, wie kunstvoll sich politischer Widerstand ausdrücken kann und welch starke Rolle die sahrawischen Frauen im Kampf gegen die Besatzung ihres Heimatlandes einnehmen. Im Film wird sehr deutlich, dass die Sahrawis ein sehr stolzes Volk sind, dessen kollektive Identität sich stark auf ihren Widerstand gegen die Besatzer gründet. Der Film beschreibt anschaulich den Widerstandskampf der Sahrawis. In der anschließenden Publikumsdiskussion werden weitere wichtige Fragen zu den Hintergründen des Konfliktes und der Zukunft Westsaharas thematisiert. Vor allem geht es um die Verantwortung Europas und der internationalen Gemeinschaft. Saleh Mustapha ist Aktivist aus Westsahara. Geboren im Flüchtlingslager Smara in der algerischen Wüste, lebt er heute als Student in Berlin. Er betont, dass die Vereinten Nationen ihre Verantwortung in der Konfliktlösung nicht wahrnehmen würden. Dass die sahrawischen Flüchtlingscamps in Algerien von UNHCR und vom Word Food Programme versorgt werden, solle nicht darüber hinwegtäuschen, dass für die Sahrawis nicht einmal fundamentale Menschenrechte gelten würden. Internationale Menschenrechtsorganisationen beklagen seit Jahren, dass Sahrawis Misshandlungen, Folter und Tod in Gefängnissen sowie der Gefahr durch Detonation von Landminen ausgesetzt seien. Dazu kommen viele Berichte über willkürliche Verhaftungen von Aktivisten, Einschränkungen der Versammlungs- und Rede- sowie der Bewegungsfreiheit. Saleh Mustapha spricht außerdem die hohe Zahl an verschwundenen Personen und politischen Gefangenen in marokkanischen Gefängnissen an. Da die Friedensmission MINURSO kein Mandat zur Überwachung der Menschenrechte habe, blieben die Vergehen der marokkanischen Sicherheitskräfte ungestraft. Bettina Semmer, Künstlerin aus Berlin, die die Westsahara durch mehrere Besuche und Kunstprojekte kennt, betont die wirtschaftlichen Interessen der Europäischen Union und insbesondere das Interesse Frankreichs und Spaniens an einem guten Verhältnis zu Marokko. Der von Marokko besetzte Westen des Territoriums liegt an der fischreichen Atlantikküste und hat viele Bodenschätze, vor allem Phosphat. Frankreichs Veto im UN-Sicherheitsrat sei folglich auch der Grund, weshalb das Mandat der UN-Mission MINURSO nicht ausgeweitet würde, um Verstöße gegen Menschenrechte zu dokumentieren. Schnell kommt die Frage nach den Parallelen zum Palästinensischen Widerstandskampf gegen die israelische Besatzung auf. Doch anders als die Palästinenser erfahren die Sahrawis bei Weitem nicht soviel Aufmerksamkeit für ihr Unabhängigkeitsbestreben. Die Gründe für das Desinteresse der Weltgemeinschaft sieht eine Sahrawi aus dem Publikum im Wunsch des Westens, Marokko stabil zu halten und darin, dass die Sahrawis ihren Widerstand gewaltlos zum Ausdruck bringen. Nicht kämpferisch, sondern frustriert sagt sie: „Solange Bomben nicht explodieren und nicht gekämpft wird, schaut doch keiner hin.“ Sie betont auch, dass viele der jungen Menschen in den besetzten Gebieten nicht mehr warten könnten. Denn die Lebensbedingungen der meisten Sahrawis sind schlecht. In Westsahara leben etwa 540.000 Sahrawis; im Exil leben Schätzungen zufolge zwischen 210.000 und 420.000 (v.a. in Marokko und Algerien). Über 60 Prozent der Bewohner der Camps sind Jugendliche und junge Erwachsene. Auch Saleh Mustapha spricht über die schlechten Bedingungen in den Camps. Wie er selbst, studieren die meisten Sahrawis im Ausland, in Algerien, Kuba oder Spanien. Doch wenn sie zurückkommen, gibt es keine Jobs für sie. Die Perspektivlosigkeit und Isolation in den Camps, die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft und das veränderte politische Klima in Nordafrika nach dem Arabischen Frühling sind es, die viele über die Rückkehr zum bewaffneten Kampf nachdenken lassen. „Das sahrawische Volk muss sich entscheiden. Es muss sich entscheiden, ob es wieder Krieg führen will oder nicht. Wenn wir keinen Krieg führen, werden vielleicht noch weitere vierzig Jahre vorübergehen.“, sagt eine sahrawische Aktivistin im Film. Doch Saleh Mustapha warnt vor einer Radikalisierung des Konflikts und verweist dabei auf den Nahen Osten, wo wie in Syrien ein jahrelanger Bürgerkrieg entstanden ist. Es scheint keine Lösung in Aussicht für den Konflikt in der letzten Kolonie Afrikas. Die politische Zukunft des umstrittenen Territoriums an der Atlantikküste ist seit Jahren ungewiss und die internationale Gemeinschaft scheint die Situation der Sahrawis hinzunehmen als Preis für politische Stabilität und wirtschaftliche Interessen in der Region. Doch es gibt auch hoffnungsvolle, selbstbewusste Stimmen. So wie die Saleh Mustaphas, der betont, dass internationale Unterstützung sehr wichtig sei. „Ohne internationale Solidarität wären unsere Stimmen nicht hörbar in der Welt!“, betont Saleh. Nur mit gewaltlosem Widerstand solle der Konflikt für die Weltöffentlichkeit sichtbar gemacht werden. Fraglich ist nur, wie lange die Sahrawis in ihrem friedlichen Kampf noch ausharren können. Wir bedanken uns bei unseren Gästen Bettina Semmer und Saleh Mustapha, die mit ihren spannenden und persönlichen Eindrücken zu einer sehr interessanten Veranstaltung über die Situation in Westsahara beigetragen haben. Veranstaltungsleitung und Moderation: Silvia Limiñana und Andreas Fricke Koordination der Filmreihe: Andreas Fricke Text: Carolin Bannorth Fotos: Andreas Fricke und Carolin Bannorth Organisation: das ehrenamtliche 14km Filmteam Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit – gefördert. Weitere Film- und Diskussionsabende sind an folgenden Terminen in Planung: 28. Oktober / 18. November / 9. Dezember Wir bedanken uns für die Unterstützung: