Archives de l'auteur: Susanne Kappe

„Die Realität ist schlimmer“ – Filmvorführung von „Darfur’s Skeleton“

Die vier Gäste in der Diskussion mit Moderatorin Carolin Bannorth: v.l.n.r. Carolin Bannorth, Hervé Tcheumeleu, Sarah Reinke, Ahmad Hassan Arnau, Abbas Tharwat Der Darfur-Konflikt – erklärt von Menschen vor Ort anhand von Geschichten, die die Menschen vor Ort erleben. Das Thema des vierten Abends unserer 14km Film- und Disskussionsreihe leitete die Dokumentation „Darfur’s Skeleton“ des sudanesischen Regisseurs Hisham Hajj Omar ein. Eine Einführung hatten die meisten der Anwesenden nötig, denn – wie es unser Gast Ahmad Hassan Arnaud, der selbst aus der Region geflüchtet ist, formulierte: „In Darfur brennt alle ein bis zwei Tage ein Dorf. Doch die Medien berichten nicht darüber.“ Der Film aus dem Jahr 2009 behandelt drei Dimensionen des Krieges in Darfur: Umweltzerstörung, die Verfolgung der Zivilbevölkerung und eine mögliche Rolle der Stammesverwaltung in der Lösung des Konflikts. Drei Bäume werden zur Zeit des Filmdrehs täglich im Kondowa-Wald gefällt, eine Rate, die die von Desertifikation bedrohte Region nicht verkraftet. Der Wald ist im Jahr 2009 so gut wie tot. Der Überlebenskampf der Bewohner des benachbarten Otash-Lagers, Zuflucht für mehrere Zehntausende aus ihrer Heimat vertriebene Menschen, hat ihn zunichte gemacht. Denn die Flüchtlinge, die im Film genauso zu Wort kommen wie die Waldpfleger, verkaufen das rare Holz des Waldes, um sich den Lebensunterhalt zu sichern. „Wir haben keine Wahl“, sagen sie. Der Kondowa-Wald symbolisiert einen Teufelskreis, der den Krieg in Darfur anheizt: Aufgrund des Klimas verknappt sich das landwirtschaftlich nutzbare Land in der Region, was zu lokalen Konflikten zwischen benachbarten Stämmen sowie nomadisierenden und sesshaften Bevölkerungsgruppen führt. Die Kriegshandlungen wiederum zerstören Dörfer und zwingen viele Menschen zur Flucht, was die bestehenden Ressourcen – wie im Kondowa-Wald – weiter angreift. Die Opfer erhalten ein Gesicht Die zahllosen Menschen auf der Flucht, die in den Nachrichten bei uns nur als abstrakt verschlüsselte Zahlen vorkommen, erhalten in der Dokumentation Namen, Gesichter und Stimmen. Aysha ist bei einem Angriff auf den Stamm der Guz angeschossen und ausgeraubt worden. Bis sie von Verwandten gerettet werden konnte, lag sie hilflos und alleine mit ihrer Tochter im leergefegten Dorf. Im Otash-Flüchtlingslager wurde ihr dann ein Bein abgenommen und sie somit zum Nichtstun verurteilt. Doch ihre Geschichte erzählt Aysha halb-lächelnd. „Woher sollen wir denn die Kraft zum Weinen nehmen?“, fragt sie. Der Lehrer Mohamed Adam hat sich dagegen seine positive Energie bewahrt. Auch er selbst musste aus seinem Heimatort fliehen und ist über mehrere unsichere Wegstationen ins Otash-Camp gelangt. Er ist jedoch entschlossen, sein Wissen an die Kinder weiterzugeben und ihnen so neue Wege zu eröffnen. Neben den direkten Opfern des Krieges kommen Bürger Darfurs zu Wort, die Kriegsursachen analysieren und die zerfahrene Lage aus ihrer persönlichen Perspektive schildern. Sie sprechen die Verantwortung der Zentralregierung in Khartoum an, die mit ihrer Strategie des „Teilens und Herrschens“ die bestehenden Konfliktlinien zwischen den Stämmen erst aktiviert habe und insbesondere durch die Befeuerung der „Janjaweed“-Miliz die Feindschaft zwischen den arabischen und schwarzafrikanischen Bevölkerungsgruppen schüre. Viele Stammesvertreter kommen zu Wort und zeigen sich zuversichtlich, dass nach einem Friedensschluss der Regierung mit den Rebellen die Konflikte zwischen den einzelnen Stämmen lösbar seien. Hierfür sehen sie die Stammesverwaltungen als Schlüsselmechanismus, der jedoch von der Regierung nicht finanziert werde. Die politischen Beobachter machen eine weitere große Aufgabe aus, ohne deren Bewältigung es keinen Frieden geben kann: Es müssen Gerichtsverfahren stattfinden und die Opfer entschädigt werden – nur so kann der Kreislauf des Hasses gestoppt werden und Frieden eine Chance erhalten. Verantwortliche und Täter zur Rechenschaft ziehen Die 14km-Mitarbeiter Carolin Bannorth und Andreas Fricke Die fehlende juristische Aufarbeitung sprach auch Sarah Reinke von der Gesellschaft für bedrohte Völker in der Publikumsdiskussion im Anschluss an die Filmvorführung an. Gerade auf lokaler Ebene müssten Gerichtshöfe eingerichtet und dauerhafte Mechanismen zur Strafverfolgung gefunden werden. Aber auch auf internationaler Ebene ist der Versuch, Präsident Omar Al-Bashir vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Rechenschaft zu ziehen bislang trotz einer Anklage aufgrund von Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen gescheitert. Der internationalen Gemeinschaft gelingt es nicht, zu einer Lösung zum Konflikt beizutragen. Den Friedensprozess in Doha unterstützten die internationalen Kräfte nicht, betonte Sarah Reinke – zudem blockierten Russland und China Entscheidungen im UN-Sicherheitsrat. Hervé Tcheumeleu, Geschäftsführer des Afrika Medien Zentrums, erwähnte die wirtschaftlichen Interessen nicht nur von großen Rüstungsfirmen, sondern auch von Ländern wie China, Russland und Großbritannien. Die Untätigkeit der Afrikanischen Union erklärte er mit deren Besetzung: „Viele Präsidenten in der AU stützen Al-Bashir, da sie vom gleichen Kaliber sind wie er.“ „Alle ein bis zwei Tage brennt ein Dorf" Hajooj Kuka by Toyin Ajao (CC) Ahmad Hassan Arnaud, ein junger Sudanese aus Darfur, der seit drei Jahren in Berlin lebt, hat den Krieg selbst miterlebt. „Die Realität ist noch deutlich schlimmer als sie in dem Film gezeigt wird“, ließ er die Gäste wissen. „Alle ein bis zwei Tage brennt ein Dorf. Aber die Medien berichten nicht darüber.“ Sarah Reinke pflichtete ihm bei: „Nach zwölf Jahren Genozid ist die Lage sehr düster.“ Ein positiver Ausblick fiel am Ende der Diskussion schwer. Doch zumindest der Film endete mit einem hoffnungsvollen Sprichwort: Darfur hat ein starkes Skelett – und wenn das Skelett noch intakt ist, wird sich das Fleisch wieder daran ansetzen. Der Regisseur, der aktuell unter dem Namen Hajooj Kuka arbeitet, räumt mit seiner zweiten Doku „The beats of the Antonov“ gerade Festivalpreise von Toronto bis Luxor ab. Dieser Film stellt die Musikszene seiner Heimat ins Zentrum und bringt zum Ausdruck, was in „Darfur’s Skeleton“ aufgrund der Thematisierung des direkten Leids nur anklingen kann: Gegen eine Identität, die von der Regierung aufgedrückt wird und Konflikte entfacht, hilft es nur, sich mit Enthusiasmus seine eigene kulturelle Identität bewusst zu machen. Nach dem ersten Film wussten wir: Darfurs Skelett ist noch nicht gebrochen. Nach dem zweiten Film werden wir wissen: Musik erweckt Darfurs Skelett zum Leben. Wir bedanken uns bei unseren Gästen Ahmad Hassan Arnaud, Sarah Reinke, Hervé Tcheumeleu sowie Abbas Tharwat dafür, dass sie uns das schwierige Thema durch ihre persönlichen Perspektiven ein Stück näher gebracht haben. Links zum Film:  Webseite des Films Porträt des Regisseurs Veranstaltungsleitung und Moderation: Carolin Bannorth Koordination der Filmreihe: Andreas Fricke Text: Susanne Kappe Fotos: Silvia Limiñana, Caroline Bunge Organisation: das ehrenamtliche 14km Film Team Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit – gefördert. Weitere Film- und Diskussionsabende sind an folgenden Terminen in Planung: 07. Oktober / 28. Oktober / 18. November / 9. Dezember Wir bedanken uns für die Unterstützung:


“Ich bin sehr froh, dieses Praktikum gefunden zu haben” – Michael meldet sich von SMEX in Beirut

Ich heiße Michael und absolviere gerade ein Praktikum bei der libanesischen NGO SMEX (Social Media Exchange), für die ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Zuwendungsleiter tätig bin. Ich habe im April 2015 angefangen und werde bis Oktober in Beirut bleiben. SMEX ist eine Organisation für Medienanwaltschaft und Entwicklung mit Sitz in Beirut. Wir bieten On- und Offline-Trainings für Journalisten und Aktivisten und treten in der MENA-Region für Menschenrechte ein, die den technischen Möglichkeiten und dem Internet entsprechen. Die Gründer Mohamad und Jessica sind erfahren und arbeiten sehr professionell. Ich bin sehr froh, dieses Praktikum gefunden zu haben, da ich viel darüber lerne, wie NGOs auf der lokalen Ebene funktionieren; außerdem über digitale Rechte in der arabischen Welt und soziale Medien als Instrument zur Interessenvertretung. Der Libanon ist ein sehr interessantes Land, dessen Gesellschaft von sehr verschiedenen und häufig entgegengesetzten Meinungen geprägt ist. Das gibt mir eine Menge Stoff zum Nachdenken und um Annahmen, die ich früher gehegt habe, zu hinterfragen. „Unglücklicherweise“ sprechen viele Menschen hier perfektes Englisch, so dass mein Plan, richtig gut Arabisch und Französisch zu lernen, bislang nicht aufgegangen ist. Die Leute sind sehr nett und es ist leicht, mit ihnen warm zu werden und viele gemeinsame Aktivitäten zu unternehmen (Wandern, Radfahren, Strand, Party, …). Die Sicherheitslage ist relativ gut, aber man sollte sich der Einschränkungen im Land bewusst sein – ebenso wie einiger äußerer und innerer Bedingungen, die einen negativen Einfluss haben und die momentane Lage verändern könnten.  


Von der Schwierigkeit, dem Jemen in einer Dokumentation gerecht zu werden

Filmvorführung „Expedition Yemen - 126 Degrees in the Shade"

Zwei Schweden, ein Kamel und die weite jemenitische Wüste – da ist das Abenteuer vorprogrammiert. Am dritten Abend unserer 14km Film- und Disskussionsreihe trafen Gegensätze nicht nur im Film aufeinander, sondern auch die Dokumentation selbst polarisierte die Gäste, die sich im bis zum letzten Platz gefüllten Filmrauschpalast drängten. Amal Nasser, jemenitische Aktivistin und Mitbegründerin von ArabHub Berlin, und Mohamed al-Thawr von „Die Jugendinitiative für einen neuen Jemen“ diskutierten anschließend über Stereotype, herausfordernde Vielfalt sowie Frauenrechte im Jemen. Der schwedische Regisseur Mikael Strandberg ist ein leidenschaftlicher und erfahrener Forschungsreisender. „Es ist sehr schwer, im Jemen zu sein und sich nicht in das Land zu verlieben“, ist die Botschaft, die er uns an diesem Abend durch einen Freund überbringen lässt. Doch darüber, ob es auch seinem Film gelingt, diese Botschaft zu vermitteln und der Vielfältigkeit des Landes und der Menschen gerecht zu werden, finden sich in der anschließenden Diskussion unterschiedliche Meinungen. Eine abenteuerliche Perspektive Es ist die Perspektive eines Abenteurers, die die Kamera, vom Regisseur und seiner Begleiterin selbst gehalten, einfängt. Schon das Intro des Films bereitet den Zuschauer auf die Expedition vor, die er in den folgenden 60 Minuten vom Kinosessel aus miterlebt: Mitten in der Wüste hindert ein Stammesvertreter die beiden erschöpften Fußreisenden mit ihrem Lastkamel am Weitergehen. Es scheint keinen Weg vorwärts zu geben. Danach wird zurückgeblendet an den Ausgangspunkt der Reise, in die Hauptstadt Sanaa. Mikael Strandberg und die Journalistin Tanya Holm brennen darauf, die jemenitische Gesellschaft kennenzulernen und lassen sich von einem Sheikh zur Verhandlung eines Mordfalls mitnehmen. Regisseur Mikael ist begeistert von der guten Stimmung unter den Hunderten anwesenden Stammesmitgliedern und davon, wie sie ohne Aggressionen und ohne staatliche Institution als Mittler einen Kompromiss finden. Von den allgegenwärtigen Waffen lässt er sich dagegen ebenso wenig beeindrucken wie von der Gefahr eines möglichen Terroranschlags. Nach dieser Episode begleitet der Zuschauer Mikael und Tanya auf ihrem kräftezehrenden Fußmarsch durch die Wüste in der Region al-Mahra, wo sie stets großzügige Gastfreundschaft bei den in einfachen Verhältnissen lebenden Dorfbewohnern finden. Die beiden sind zu Fuß losgezogen, um den Menschen möglichst nahe zu kommen und sie zu zeigen, wie sie ihnen begegnen: mit großer Wärme und noch größerer Neugier für die merkwürdige Reise. Terroristen und Rebellenkämpfer kommen in dem Film genauso wenig vor wie Anschläge, Entführungen oder Hasspredigten. Denn sie begegneten den beiden auf ihrer Reise, die sie im Jahr 2012 unternahmen, schlicht nicht. Und genau darum geht es dem Regisseur: der negativen Berichterstattung über den Jemen in den westlichen Medien ein positives Bild entgegenzusetzen, in dem es endlich einmal nicht um Gewalt, sondern um ein unaufgeregtes Porträt der Menschen geht. Vielfalt versus Stereotype Amal Nasser, die als Expertin für die anschließende Diskussion geladen war, überzeugt Mikael Strandberg mit diesem Jemen-Porträt jedoch nicht. Es sind Szenen wie die Zusammenkunft der vielen bewaffneten Männer zu Beginn oder eine Szene im Beduinenzelt, in der Strandberg seinen Gastgebern ein GPS-Gerät erklärt, die sie als Reproduktion unerträglicher Stereotype über Jemeniten empfindet. Der Film zeige nicht die Realität von 9-to-5-Berufstätigen oder Café-Besuchen unter Freunden, wie sie von jemenitischen Regisseuren eingefangen werden könnten. Mohamed al-Thawr teilt diese Auffassung nicht. Für ihn ist es klar, dass ein Abenteurer nach spannenden Momentaufnahmen sucht, wie er sie auf einer gefährlichen Wüstenreise findet. Natürlich gebe es einen anderen Alltag im Jemen – dieser sei jedoch einfach nicht zeigenswert. Der Vielfalt des Jemen hat er, der sein gesamtes Leben im Wechsel zwischen dem Jemen und Deutschland verbracht hat, eine persönliche Expedition gewidmet. Um jemenitische Juden, die bis in die 60er-Jahre noch etwa 25 Prozent der Bevölkerung bildeten, kennenzulernen, stellte er über das Krankenhaus seines Vaters einen Kontakt her, reiste in deren Dorf und lud sie im Anschluss auch zu sich nach Sanaa ein. „Nachdem die Masken abgelegt wurden, sieht man tausend Gemeinsamkeiten“, schildert Mohamed al-Thawr die eindrucksvolle Erfahrung. Frauen im Jemen: emanzipiert oder rechtlos? Zur gelebten Vielfalt der Gesellschaft gehört für Amal Nasser auch, dass Frauen sich selbstverständlich im öffentlichen Raum bewegen können. Leider sei dies im Jemen aktuell ebenso wenig verwirklicht wie die Repräsentation von Frauen in politischen Ämtern. Zwar gebe es jemenitische Politikerinnen, diese gehörten jedoch im Allgemeinen dem korrupten System an und verfolgten keine eigenen politischen Programme. Junge Aktivistinnen setzten sich dagegen engagiert für gesellschaftliche Ziele ein. Über die Rolle der Frauen bei den großen Demonstrationen im Jahr 2011 entspann sich eine Kontroverse. Dr. Yahya Al-Thawr, der Vater Mohameds al-Thawr, ist überzeugt, dass die jemenitischen Frauen „sehr emanzipiert“ sind und hob ihre Rolle in den Demonstrationen hervor, wie sie auch im Nobelpreis für Tawakkol Karman deutlich werde. Amal Nasser hält dagegen, dass jemenitische Frauen als Personen und nicht in einer Frauenrolle protestiert hätten. Für sie steht es fest, dass leider fast alle Frauen im Jemen unterdrückt würden von Vätern, Brüdern und anderen Autoritätspersonen, die ihnen keine freien Entscheidungen zugestünden. Deshalb steht für sie auch der Kampf für die eigenen Rechte an erster Stelle für die Frauen – die Einspannung in die Revolution sei da nur ein nachrangiges Interesse. Aus dem Publikum pflichtet ihr ein jemenitischer Mann bei: „Wir Männer reden uns das schön, dass Frauen angeblich gleichberechtigt seien im Jemen.“ Der Jemen aktuell In der aktuellen Lage ist nichts mehr von der hoffnungsvollen Stimmung übrig, die mit den Ereignissen von 2011 und der Entmachtung von Ali Abdullah Saleh das Land ergriffen hatte. „Der Krieg ist eine Katastrophe“, fasst es Mohamed Al-Thawr zusammen. Eine Liebeserklärung, wie sie Regisseur Mikael Strandberg mit seinem Film über den Jemen abgibt, ist da zumindest ein kleines positives Signal in dem Meer von Schreckensnachrichten. Vielen Dank an Amal Nasser und Mohamed Al-Thawr für die Mitwirkung an der spannenden Diskussion und die interessanten Einblicke in die soziale und politische Situation im Jemen. Links zum Film: Webseite des Films Informationen des Verleihs Gedanken des Regisseurs Veranstaltungsleitung und Moderation: Hussein Ben Amor Koordination vor Ort: Andreas Fricke Text: Susanne Kappe Fotos: Jana Vietze Programm: das ehrenamtliche 14km Film Team Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit – gefördert. Die 14km Film-Datenbank bietet ergänzend eine Sammlung an Filmen über den Jemen. Sie beinhaltet Filme aus und über den Jemen sowie Kurz- Spielfilme. Das Medium Video nutzt das Medienkollektiv "# Support Yemen", beispielsweise mit dem Kurzfilm "The Melody of our Alienation".  Als TV-Video-Dokumentation gibt es dort mehrere Interviews jemenitischer Frauen zum Thema Revolution. Thema des nächsten Film- und Diskussionsabends am 16. September wird das Land Sudan sein. Infos zum Termin und gezeigten Film "Darfur's Skeleton" gibt es hier. Weitere Film- und Diskussionsabende sind an folgenden Terminen in Planung: Oktober / 28. Oktober / 18. November / 9. Dezember Wir bedanken uns für die Unterstützung:


„Ich möchte meine Zeit in Kairouan gegen nichts eintauschen“ – Iris über ihr Praktikum bei „We Love Kairouan“

Von März bis Juni 2015 habe ich ein viermonatiges Volontariat/Praktikum bei “We love Kairouan” in der Stadt Kairouan im Herzen Tunesiens absolviert. Diese 2012 gegründete NGO ist Teil des “We love”-Netzwerks mit Partnerorganisationen in- und außerhalb Tunesiens. “We love Kairouan” ist in den Bereichen Kultur, Umwelt, aktive Partizipation der Jugend und Dezentralisation Tunesiens tätig. Dezentralisation ist deshalb wichtig, weil es in der Hauptstadt Tunis zahlreiche Organisationen gibt, die sich für Projekte in den oben genannten Bereichen einsetzen. In der NGO “We love Kairouan” setzen wir uns individuell für die Bedürfnisse dieser Stadt und deren Bewohner ein und bringen Projekte, Schulungen und Kurse für zivilgesellschaftliche Aktivisten nach Kairouan. Damit die NGO Geld für Projekte hat, werden wir von größeren internationalen Geldgebern unterstützt. Die meisten dieser geldgebenden Organisationen oder Institutionen sind deutschsprachig, wie zum Beispiel das Institut für Auslandsbeziehungen oder die Heinrich Böll Stiftung. Damit man Projekte besser an Land ziehen kann, helfen deutsche Sprachkenntnisse. Hier kam ich ins Spiel. Drei Monate lang leitete ich einen zwei Mal in der Woche stattfindenden Deutschkurs für lokale zivilgesellschaftliche Aktivisten unter dem Namen “We love language”. Das Alter der Kursteilnehmer ging von 25 bis 45 und machte mich als Deutschlehrerin also zur Jüngsten im Raum. Was mich von Anfang an begeistert hat, war die Motivation der Teilnehmer. Selbst bei 45 Grad schafften es die meisten durch die heiße Stadt ins Lokal der NGO um mit mir Dativ und Akkusativ zu lernen. Als Abschluss des Deutschkurses haben wir ein Video gedreht, in dem die Deutschschüler Alltagsszenen auf Deutsch bewältigen: // Neben dem Deutschkurs habe ich unter der Leitung meiner Chefin Olfa Jelassi ein kulturelles Event “Sharing Cultures … Building Bridges” organisiert: Sharing Cultures ... Building bridges - Fotoalbum auf Facebook Als Partner- und Schirmorganisationen waren 14km, das Institut für Auslandsbeziehungen und die Österreichische Botschaft in Tunis tätig, die sich aktiv im Programmplan beteiligt haben. Neben einem tunesischen Künstler hatten wir eine österreichische Fotografin und mehrere tunesische Fotografen aus Kairouan zu Gast, die gemeinsam eine Fotografie-Ausstellung “Wien und Kairouan” organisiert haben. Als Veranstaltungstag wurde ein Tag gegen Ende meines Praktikums gewählt, um vor meiner Abreise einen Tag lang kulturelle Diversität zu feiern und neue internationale Bekanntschaften zu knüpfen. Im Laufe meines Praktikums habe ich mich immer mehr an die tunesische Gesellschaft und arabischen Denkweisen gewöhnt. Durch das Kulturen übergreifende Arbeiten mit deutschen, österreichischen und tunesischen Partnerorganisationen habe ich gelernt, dass Flexibilität und interkulturelles Feingefühl unabdingbar sind. Kooperationen können nur zustande kommen, wenn man eine Brücke zwischen gut strukturiertem deutschen Denken und dem tunesischen "inchallah" und "normalement oui"-Gedanken schlagen kann. In diesem Bereich habe ich gearbeitet und mich nach einiger Zeit wie ein kulturelles Chamäleon gefühlt, das sich situationsbedingt immer anders verhält. Eine sehr spannende Arbeit, die täglich neue Herausforderungen mit sich bringt. Vom ersten Tag an wurde ich sehr herzlich willkommen und habe ab meinem ersten Arbeitstag sofort Freunde gefunden. Das Arbeitsklima war sehr freundschaftlich und die Hierarchien sehr flach. Da ich bei einer arabischen Familie gewohnt habe, wurde ich auch von Anfang an in viele Traditionen einführt. Ich wurde insgesamt auf sechs Hochzeiten mitgenommen und war auch sonst bei jeglicher Festlichkeit einfach immer mit dabei. Ab meinem ersten Tag in Tunesien habe ich mich sehr wohl und auch sicher gefühlt. Aus diesem Grund wollte ich meinen Auslandsaufenthalt auch nicht wegen aktueller Geschehnisse abbrechen und im Nachhinein bin ich sehr froh, dass ich mich so entschieden habe. Zum Schluss bin ich sogar länger geblieben als geplant und habe mit meiner arabischen Gastfamilie Ramadan und Eid miterlebt. Ich bin unglaublich froh und dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte, auch wenn es nicht immer leicht war in der “konservativsten Stadt Tunesiens” zu wohnen und sich an Traditionen und Sitten anzupassen. Vielleicht wäre ein Praktikum in der westlich orientierten Hauptstadt Tunis nicht so ein Kulturschock gewesen, aber ich möchte meine Zeit in Kairouan gegen nichts eintauschen und weiß, dass ich hier tunesische Freunde gefunden habe, die ich bestimmt wieder sehen werde, inchallah! Die von uns wiedergegebenen Berichte von durch uns vermittelte Praktikant/innen spiegeln nicht notwendigerweise die Sichtweise von 14km e.V. oder unseren Partnern wider.


Krieg und Flucht mit Kinderaugen sehen – Filmvorführung „Schildkröten können fliegen“

Kinder und ihre Sicht auf die Welt stehen im Zentrum des Films von Regisseur Bahman Ghobadi, der die Lage von Flüchtlingskindern im kurdischen Teil des Irak beschreibt und dabei nicht nur Fiktion und Dokumentation vermengt, sondern auch die Zeit Anfang der 90er-Jahre mit der Invasion der US-Truppen 2003. Der zweite Film unserer 14km Film- und Disskussionsreihe ist zwar aus dem Jahr 2004, wirkt heute jedoch umso beklemmender, als sich die tragischen Flüchtlingsschicksale aufgrund der Gewalt der Terrogruppe "Islamischer Staat" heute unter anderen Vorzeichen wiederholen. Bezeichnend für die kindliche Perspektive ist schon der Titel des Films: Bei den „Schildkröten“ handelt es sich um Antipersonenminen, mit deren Entschärfung sich die kurdischen Flüchtlingskinder, die meisten von ihnen Waisen, ein Auskommen sichern. Zur Verstümmelung der Kinder, denen teilweise Arme und Beine fehlen, bemerkt ihr Anführer, der „Satellit“ genannt wird, nur lakonisch: „Das sind die besten – sie haben keine Angst mehr“. Die Angst vor den Minen mögen die Kinder verloren haben – die traumatischen Erlebnisse aus der Vergangenheit wie der Verlust von Eltern, Geschwistern, Misshandlung und Vergewaltigung begleiten sie jedoch täglich ebenso wie Hunger und Armut in den elenden Verhältnissen eines Flüchtlingslagers. Stacheldrahtzäune und Panzer-Wracks, Matsch, schmutzige Kleidung, notdürftige Zelte sowie eine karge Felslandschaft sind die Kulisse, vor der sich die Kinder mit beeindruckender Energie und gegenseitiger Solidarität jeden Tag aufs Neue in den Überlebenskampf stürzen. Doch nicht jedem gelingt der Blick nach vorne. Gleich zu Beginn des Films sieht man Agrin, ein 14jähriges Mädchen, an den Klippen stehen. Von Baath-Soldaten während des Massakers von Halabja vergewaltigt, hat sie einen Sohn zur Welt gebracht, den sie nicht lieben kann. Trotz der Liebe, die ihr Bruder und Satellit ihr entgegenbringen, ertränkt sie ihren Sohn und stürzt sich selbst von den Klippen. Regisseur Bahman Ghobadi bezeichnet seinen Film dennoch als einen „Film nicht nur von, sondern auch für Kinder“. Mit den drastischen Szenen erweckt er beim Zuschauer ein Gefühl für die Schrecken von Krieg und Verfolgung. Die Invasion der US-Truppen 2003, mit der für die irakischen Kurden die Befreiung von Saddam Hussein und dem Baath-Regime einherging, stellt er aus der Perspektive eines desillusionierten Kindes als weitere Episode des Kriegsgeschehens wenig euphorisch dar. So pessimistisch wie der Film endet, hat sich die Lage der Kurden im Irak jedoch seit 2003 nicht entwickelt, erklärten die geladenen Experten in der anschließenden Diskussion. Dr. Karin Mlodoch von Haukari e.V., einem Verein, der sich für den Schutz von Frauen in Gewalt- und Krisensituationen einsetzt und im Nordirak vor Ort aktiv ist, sowie Dr. Awat Asadi, Politologe am Zentrum für Kurdische Studien Navend in Bonn, ordneten den Film in den historischen Kontext ein und gaben Einblicke in aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen. „Sehr erschüttert“ zeigte sich Dr. Mlodoch von dem Film – insbesondere deshalb, weil der Film die Agonie von Anfang der 90er-Jahre, als der Nordirak „einem einzigen großen Flüchtlingslager“ glich, zurück ins Bewusstsein rufe. Bei heutiger Betrachtung lasse es sich nicht vermeiden, an die aktuelle Verschleppung und Versklavung jesidischer Frauen und Kinder durch die Terrorgruppe ISIS zu denken. Die positive Veränderung und Stabilisierung, die seit 2003 in der kurdischen Autonomieregion stattgefunden habe, sei dadurch leider vorerst angehalten worden. Dr. Mlodoch spricht aus ihrer Erfahrung in der Hilfsarbeit mit Opfern von Gewalt, insbesondere mit Frauen, die bei der Anfal-Operation Angehörige verloren haben und selbst verschleppt und misshandelt worden sind. Unter dem Codewort „Anfal“ verübte das Baath-Regime von 1988-1989 Massaker und Giftgasangriffe an der kurdischen Zivilbevölkerung des Irak, die heute von einigen Staaten offiziell als Genozid anerkannt werden. Der Angriff auf Halabja, auf den im Film angespielt wird, ist eine dieser Attacken. Dr. Awad Asadi zeigte jedoch auch die hoffnungsvolle Seite der irakisch-kurdischen Geschichte auf. Nach dem Sturz Saddam Husseins stabilisierte sich die Regierungsführung in der autonomen Region und es wurden, auch mit Hilfe von Einnahmen aus der Erdölförderung, Aufbaumaßnahmen durchgeführt. Erstmals bemühte sich die Regierung um die Befriedigung von Grundbedürfnissen der Menschen wie sauberes Wasser, Elektrizität, Gesundheit und Bildung. Auch eine zivilgesellschaftliche Bewegung der Selbstorganisation bildete sich. Seine Hoffnung auf eine positive Entwicklung des Landes will Dr. Asadi trotz der aktuellen Rückschläge durch die IS-Angriffe nicht aufgeben. Er setze darauf, dass dem IS aufgrund fehlenden Nachschubs früher oder später die Munition ausgehe. Im Gegensatz zum Baath-Regime sei die Terrorgruppe ein Fremdkörper in der Region und verliere ihren Rückhalt in der sunnitischen Bevölkerung. Frau Dr. Mlodoch ergänzte hierzu: Die Unterstützung von Sunniten konnte die IS-Terrorgruppe nur gewinnen, indem sie deren Marginalisierung unter der schiitischen Maliki-Regierung ausnutzte. Für eine Lösung des Konflikts sei es daher wesentlich, der sunnitischen Bevölkerung eine Perspektive aufzuzeigen und Partizipation zu ermöglichen. Momentan stellt die Flüchtlingsproblematik die größte Herausforderung für die kurdische autonome Region dar. Neben einer halben Million syrischer Flüchtlinge sind es vor allem die knapp 1 Million irakischen Binnenflüchtlinge, die die einheimische Bevölkerung an die Grenzen ihrer Kapazitäten bringen. Die Situation in den südlichen Regionen wie in Khanaqin sei eine „humanitäre Katastrophe“, beklagt Dr. Mlodoch, betont jedoch gleichzeitig die unglaubliche Solidarität der einheimischen Bevölkerung. Wieder sind es also dramatische Flüchtlingsbiographien, die im kurdischen Nordirak geschrieben werden. Aktueller könnte der Film „Schildkröten können fliegen“ kaum sein. Es bleibt zu hoffen, dass er seine Brisanz bald wieder verliert. Beim Filmabend waren auch erstmals unsere neuen 14km-Stofftaschen erhältlich. Vielen Dank an Dr. Karin Mlodoch und Dr. Awat Asadi für die Mitwirkung an diesem Abend und die interessanten Hintergrundinformationen zur Geschichte und aktuellen Situation der Kurden im Nordirak. Hintergrundinfos zum Film: Filmheft "Schildkröten können fliegen" der BpB Informationen zur politischen Bildung "Naher Osten" Produktionsgesellschaft "Schildkröten können fliegen" Verleihkatalog kurdischer Filme in Deutschland Veranstaltungsleitung und Moderation: Carolin Bannorth Koordination vor Ort: Steffen Benzler Text: Susanne Kappe Fotos: Helena Burgrova Organisation und Planung: Andreas Fricke Programm: das ehrenamtliche 14km Film Team Die 14km Film- und Diskussionsreihe wird 2015 mit Haushaltsmitteln des Landes Berlin – Landesstelle für Entwicklungszusammenarbeit – gefördert. Thema des nächsten Film- und Diskussionsabends am 26. August wird das Land Jemen sein. Weitere Film- und Diskussionsabende sind an folgenden Terminen in Planung: 16. September / 07. Oktober / 28. Oktober / 18. November / 9. Dezember Wir bedanken uns für die Unterstützung:    


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