Volunteer Report

Aktiv für Meinungsfreiheit im Libanon

Bericht vom Praktikum bei MARCH in Beirut

MARCH ist eine lokale Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Beirut, Libanon. Tätig sind im Kern etwa 10 Mitarbeiter, nach Bedarf der jeweiligen Projekte werden Projektkoordinatoren und weitere Angestellte für die Dauer des Projekts eingestellt. Zusätzlich unterstützen Praktikanten die Arbeit. Das kleine Team bewirkt eine flache Hierarchie, an deren Spitze die Mitbegründerin und Generalkoordinatorin steht, welche als Hauptverantwortliche in alle Prozesse eingebunden ist. MARCH widmet sich seit der Gründung 2011 vor vor allem der Meinungsfreiheit und setzt sich für Frauenrechte und Deradikalisierung von Jugendlichen ein. Dahinter steht der Gedanke, eine tolerante und liberale libanesische Zivilgesellschaft zu schaffen. Während meines Praktikums kamen mir verschiedenste Aufgaben zu, hauptsächlich im Büro, wo ich unter anderem bei der Erstellung von Berichten und Förderanträgen helfen konnte. Zudem hatte ich die Möglichkeit, bei einigen Meetings teilzunehmen, um Notizen zu machen und die laufenden Projekte zu besuchen oder zu begleiten. Ich habe mir von diesem Praktikum erwartet, generell einen Einblick in die Arbeit einer NGO zu bekommen. Von Interesse war für mich auch, dass es sich um eine originär libanesische NGO handelt, die vielleicht eine andere Position zum eigenen Land und andere Zugänge hat als internationale Organisationen, die ihre Interessen im Libanon vertreten. Das Praktikum soll mir sowohl als Berufserfahrung dienen als auch zur Orientierung in meinem zukünftigen Berufsfeld beitragen. Zu Beginn des Praktikums sollte ich verstärkt am Social Media Auftritt mitarbeiten, der ein essentielles Mittel der NGO ist, um ihre Außenwirkung und die Reichweite der Projekte zu vergrößern. Neben gelegentlichen kleinen Aufgaben wie Fotos auswählen oder Texte für Posts vorschlagen, war ich aber kaum in diesem Bereich tätig. Während meines Praktikums konnte ich sowohl qualifizierte Aufgaben übernehmen als auch in eher hospitierender Form meine Kollegen im Außendienst begleiten und die Projekte besichtigen. Anfangs war mehr Arbeit zu bewältigen als gegen Ende, wo wenige Aufgaben anfielen und zusätzliche Hilfe durch eine zweite Praktikantin vorhanden war. In den ersten Wochen habe ich an englischsprachigen Meetings mit einem Botschafter, anderen NGOs und mit einem potentiellen Förderer teilgenommen und Notizen geschrieben. Später konnte ich am Förderantrag vor seiner Überarbeitung mitschreiben und nach Abgabe des Antrags an einer Informationsveranstaltung des Förderers für die richtige Handhabung der erforderlichen Berichte teilnehmen. Teilweise habe ich Kontakte in die Datenbank der Organisation eingetragen oder Emails verfasst. Als Teil eines Projekts im Bereich Zensur hat MARCH eine „Know your rights“ Broschüre erstellt, die Informationen über die staatliche Zensur und ihre möglichen Folgen sowie eine Beratungshotline für Betroffene anbietet. Die Gründe für Zensur im Libanon lassen sich etwa in die folgenden Bereiche einteilen: Beleidigung einer der offiziell anerkannten Religionen, heikle politische Themen (Israel, Bürgerkrieg,...), LGBT und andere „unmoralische“ Inhalte, Beleidigung des Staatsoberhaupts oder staatlichen Symbolen. Ein Online Museum mit einer Auflistung aller vergangenen Zensuren soll es ermöglichen, das oft undurchsichtige Thema transparent und öffentlich zu machen. In diesem Zusammenhang werden kurze Berichte erstellt, von denen ich eines zum Thema LGBT und eines zur Beleidigung von Staatsoberhäuptern - vor seiner endgültigen Überarbeitung - selber verfasst habe. Dabei habe ich selber recherchiert, welche Fälle es jeweils 2016 im Libanon gab und einen kurzen Vergleich mit ähnlichen Fällen in Deutschland und Frankreich dargestellt. Hier konnte ich vielleicht am stärksten meine während des Studiums erworbenen Fähigkeiten einbringen, indem ich selbstständig recherchiert, strukturiert und geschrieben habe. Ähnliche Aufgaben fielen etwa an, wenn Dokumente über die Erfolge und Leistungen der Projekte zu aktualisieren oder umzuschreiben waren. In einem anderen Projekt schafft MARCH Bewusstsein für das Problem der Staatenlosigkeit von Libanesen, die von ihren Eltern nicht registriert wurden, was Teile der ohnehin schon benachteiligten Bevölkerung weiter marginalisiert und unter anderem die Wahlberechtigung ausschließt. In einer Kampagne wurden im ganzen Land in Krankenhäusern und bei Treffen mit Bürgermeistern Informationsbroschüren verteilt und die Anwesenden über das Problem informiert und beraten. Einige dieser Besuche konnte ich begleiten, wegen meiner mangelnden Arabischkenntnisse konnte ich dabei lediglich beim Aufstellen der Roll-Ups helfen und Fotos machen. Ein derzeitiges Hauptprojekt in Tripoli nutzte als Methode der Konfliktlösung  künstlerische und schauspielerische Fähigkeiten von Jugendlichen genutzt, die wegen eines lokalen Konflikts zwischen Sunniten und Schiiten in diesem Spannungsverhältnis aufgewachsen sind oder daran teilgenommen haben. Dieses ursprüngliche Theaterprojekt wird heute als Café und Treffpunkt der Jugendlichen weitergeführt und das gesamte Konzept nun auch in anderen konfliktbeladenen Gebieten angewendet. Der Arbeitsalltag hatte aufgrund der wechselnden Aufgaben keine feste Routine, auch die Arbeitszeiten konnten deswegen variieren. Einige Projekte waren nicht vor Ort sondern in Tripoli oder in den Vororten Beiruts, daher waren nicht immer alle Mitarbeiter im Büro anwesend. Die Arbeit im Team war sehr kollegial, auch wenn es natürlicherweise während der Arbeitsbewältigung auch immer mal zu Spannungen kommt. Für mich als Praktikantin war eine der Projektkoordinatorinnen zuständig, die jederzeit für mich da war und die mir die meisten Aufgaben zuteilte. Auch die anderen Kollegen waren für mich ansprechbar, hilfsbereit und ich konnte schon bald ein gutes Verhältnis zu den meisten von ihnen aufbauen. Insgesamt habe ich sehr gerne bei MARCH gearbeitet, die Struktur und Abläufe der Organisation kennengelernt und mein Wissen über ihre Hauptanliegen der freien Meinungsäußerung, Stärkung von Frauenrechten und Konfliktlösung speziell im Libanon vertieft. Auch abgesehen von meiner Arbeit bei MARCH hatte ich eine gute Zeit im Libanon, den ich zum ersten Mal besucht habe. Ich habe mir schon von Deutschland aus ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft gesucht, das in Laufnähe zu meiner Arbeitsstelle war, weil ich nicht abhängig von öffentlichen Verkehrsmitteln sein wollte. Ich habe mich relativ schnell eingelebt und mich an einige libanesische Besonderheiten des Alltags gewöhnt. Die sehenswerte Kultur- und Feierszene in Beirut erschließt sich von alleine. Vor Ort bleibt es letztendlich nicht aus, dass man Gebiete besucht, die nach - verständlicherweise -  sehr vorsichtigen Reisewarnungen des deutschen Auswärtigen Amts besser nicht bereist werden sollten. Besonders sehenswert war für mich Tripoli, wo auch das derzeitige Hauptprojekt von MARCH läuft sowie die Ruinen in Baalbek. Um dem Lärm der Stadt zu entkommen, gibt es zahlreiche wunderschöne Orte außerhalb oder in der Natur, ob am Meer oder in den Bergen. *** Die von uns wiedergegebenen Berichte von durch uns vermittelte Praktikant/innen spiegeln nicht notwendigerweise die Sichtweise von 14km e.V. oder unseren Partnern wider.


Begegnungen ermöglichen, wo der Konflikt spaltet

Praktikumsbericht von Pauline bei Wi'am in Bethlehem

  Das Büro von Wi’Am befindet sich in einem großen, hellen Steinhaus mit vielen Treppen und kühlen Zimmern. Im großen Garten dahinter wachsen Zitronenbäume, Minze und Thymian. Es gibt einen Kinderspielplatz und gepflasterte Plätze mit Überdachung, wenn es im Sommer heiß wird. Es ist viel Platz für Versammlungen, Kinder, Familien und Gäste. Schaut man sich um, ist das nicht selbstverständlich. Rechts grenzt der Garten an die Mauer, hinten läuft er auf das 1948 errichtete Flüchtlingscamp Aida zu, wo es oft zu Zusammenstößen zwischen israelischen Soldaten und Anwohnern kommt. Vom Checkpoint 300, der Ostjerusalem von Bethlehem und Israel von Palästina trennt, liegt Wi’Am nur 10 Minuten entfernt. Drei Monate lang nahm ich als Praktikantin in diesem spannungsreichen Kontext an der Arbeit von Wi’am teil. Wi’Am ist einerseits eine NGO, die sich demokratischen Grundwerten und Menschenrechten verschreibt. Sie bietet politische Bildung, Workshops und Treffen in Bethlehem und vielen anderen Städten in Palästina an. Andererseits ist es ein Gemeindezentrum, in dem Beziehungen heilen sollen. Als Treffpunkt und Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Frauen an einem Ort, wo Beziehungen stark vom langanhaltenden Konflikt, wirtschaftlichen Problemen und traumatischen Erinnerungen belastet werden, ist Wi’Am tief in der Gemeinde verwurzelt. Sulha, eine traditionelle arabische Form der Mediation, bildet den Kernpunkt der Beziehungsarbeit. Wi’Am praktizieren sie in allen möglichen Konflikten, vor allem innerhalb und zwischen Familien. Da diese Arbeit im Privaten stattfindet, konnte ich leider nicht daran teilnehmen. Dafür war ich bei Jugendtreffen dabei, die alle zwei Wochen stattfinden, und bei der Weihnachtsfeier für die Kinder. Neben lokalen und familiären Beziehungen engagiert sich Wi’Am für internationale Begegnungen. Nach Palästina zu reisen ist mit Ängsten, Vorurteilen und realen Einschränkungen,  erschwert. In dieser isolierten Situation ist es von großer Wichtigkeit, sich zu vernetzen. Wi’am sind in Kontakt mit internationalen NGOs, Universitäten und Kirchen. In meiner Zeit als Praktikantin besuchten uns verschiedene Gruppen: Studenten, Kirchengruppen und manchmal Touristen, die auf der Suche nach Banksy-Graffitis bei uns hineinstolperten. Dabei ging es darum, mit Vorträgen und Dialogrunden aus der palästinensischen Perspektive zu berichten. Die Mitarbeiter legen Karten, Statistiken und Fakten vor, informieren zu Themen wie der Wasserversorgung, Gebietsverteilung, und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Sie erzählen aber auch persönliche Geschichten, von Verlust, Angst und Hoffnungslosigkeit. Zusätzlich machen Touren durch das Umland die alltäglichen Einschränkungen für die palästinensische Bevölkerung begreifbar. Ich hatte die Möglichkeit, den Tourguide Usama auf das Weingut Cremisan und nach Hebron zu begleiten. Darüber hinaus arbeitet Wi’Am mit anderen, vor allem kirchlichen NGOs in Palästina und Israel zusammen. Ich konnte in Jerusalem an einer Veranstaltung von EAPPI teilnehmen, einer kirchlichen Initiative, in der internationale Freiwillige als Begleiter und Beobachter in palästinensischen Orten arbeiten. Ein weiterer Fokus ist der Einsatz für Frauenrechte. In diesem Rahmen war es spannend für mich, einen Workshop in Dura zum Thema Häusliche Gewalt besuchen. In der konservativen Gegend um Hebron kann es heikel sein, derartige sensible Themen anzusprechen. Umso spannender war es zu sehen, wie die rund dreißig - weiblichen und männlichen - Teilnehmenden offen diskutierten und formulierten, welche Veränderungen sie sich wünschen. Derartige Workshops bieten einen Raum, Geschlechterrollen zu diskutieren, wo das sonst nicht möglich ist. Als Praktikantin schrieb ich Texte für die Website, übersetzte die Broschüre von Wi’Am und half dabei, Gäste zu empfangen und Workshops vorzubereiten. Zusätzlich war ich (auf eine Idee des Leiters von Wi’Am) mit meiner Forschung über Salafismus in Deutschland/Europa beschäftigt. In einer abschließenden Präsentation stellte ich meine Ergebnisse vor und es entstand eine lebhafte Diskussion. Tatsächlich bestand meine Zeit aber hauptsächlich darin, in den Veranstaltungen und Gesprächen mit Gästen und Mitarbeitern zuzuhören und zu lernen. Grundsätzlich war ich in meiner Zeiteinteilung frei, und die Planung funktionierte flexibel. Leider fiel es mir schwer, mich in dem Maße in Arbeitsabläufe einzubringen, wie ich es mir gewünscht hätte. Das lag teilweise daran, dass es oft keine definierten Aufgaben oder Ziele für Praktikanten gab, möglicherweise aber auch daran, dass das Arbeitsleben anders funktioniert, als ich es ansonsten gewohnt bin. Bei der Arbeit knüpfte ich schnell Kontakte zu den Mitarbeitern. Wir aßen oft zusammen zu Mittag, und sie nahmen sich Zeit für Tee und persönliche Gespräche. Da ich in einem Wohnkomplex mit der Familie von Zoughbi (Wi’Ams Leiter) wohnte, fand ich schnell Anschluss an Leute aus Bethlehem und Freiwillige aus aller Welt. Die Familie hieß mich herzlich willkommen und ich lernte viele Menschen bei Spieleabenden, gemeinsamen Ausflügen oder zum Mittagessen kennen. In meiner freien Zeit ergänzte ich meine Arabischkenntnisse mit palästinensischem Dialektunterricht. Besonders aufregend war es für mich, einige von den uralten Städten in der Nähe zu entdecken. Ich fuhr oft nach Jerusalem und machte Ausflüge nach Hebron, Jericho, Haifa, Akko und Tel Aviv. Da die Entfernungen relativ gering sind, ging das trotz Checkpoints recht schnell. Besonders die Altstädte faszinierten mich: die winzigen, krummen Gassen, die herumstreunenden Katzen und die eng aneinandergeklebten Geschäfte und vielen Düfte… Doch diese Schönheit wurde immer wieder gebrochen, wenn ich an gesperrten Straßen kam oder in Soldaten mit Maschinengewehren hineinlief. Insgesamt war es sehr erhellend für mich, die politische Situation so direkt zu erfahren. Zusammen mit den vielen Informationen, die ich bei der Arbeit lernte, und den persönlichen Geschichten, die sich nach und nach in Gesprächen mit Bekannten und Kollegen entfalteten, entstand für mich ein klares Bild von einer verfahrenen, scheinbar unlösbaren Situation. Ich empfehle das Praktikum als eine bereichernde Erfahrung, wenn man mehr über Palästina, die Situation und Menschen erfahren möchte. *** Die von uns wiedergegebenen Berichte von durch uns vermittelte Praktikant/innen spiegeln nicht notwendigerweise die Sichtweise von 14km e.V. oder unseren Partnern wider.  


Economic hardship in Cairo

Achim's impressions from Cairo in the spring of 2017

Achim is currently in Cairo for an internship with Maat for Peace, Development and Human Rights. Here is what he writes about his first impressions: "Two and a half weeks ago my fourth stay in Cairo began, after I lived here for nine months while studying in 2013/14 and after two short holidays here in March 2015 and September 2016. Due to the fact that my last visit was just a few months ago, everything felt immediately familiar again. Because my last spring in Egypt was in 2014 though, I was surprised again, how cold temperatures more than 20 °C can feel. I’m still running around wearing a pullover, even during the day. The one big difference compared to my visit in September is the economic state of Egypt after they floated the exchange rate of the pound at the end of 2016. Back then I could get 12 pounds for 1 Euro, now it is almost 20 pounds. All this comes along with rising prices of course. For me as a European, the negative effects are counterbalanced by the weak pound, but for all the Egyptians I spoke with, it is really a catastrophe!"


Grüße aus Bethlehem!

Zwischenbericht von Pauline bei Wi’am aus Bethlehem

Grüße aus Bethlehem! Seit Mitte Dezember verbringe ich hier mein dreimonatiges Praktikum bei „Wi’am - The Palestinian Conflict Transformation Center“. Wi’am ist eine kleine NGO, die vor allem in Bethlehem und Umgebung arbeitet. Ihr Fokus liegt darauf, die Gesellschaft vor Ort zu stärken, indem sie Konflikte lösen, interkulturellen Austausch anbieten und Workshops zu Themen wie politische Teilhabe, Konflikttransformation, Gender und Menschenrechte anbieten. Im Moment bin ich damit beschäftigt, für ein Forschungsprojekt über deutschen Jihadismus zu recherchieren. Außerdem ist gerade Weihnachtszeit, und deshalb nehme ich an vielen Veranstaltungen teil. So bekomme ich einiges von Wi’Ams Arbeit in Bethlehem mit, auch wenn einer der Schwerpunkte - die Mediation - verständlicherweise im Privaten stattfindet. Ansonsten empfangen wir viele internationale Gäste. Studenten nehmen an Diskussionsrunden teil, Kirchengruppen kommen vorbei und Touristen stolpern herein. Wi’am bietet Touren durch das ganze Westjordanland an; neben der Mediation liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der Vermittlung von Informationen über die (geo-)politische Situation in Palästina. Diese deutet sich schon in der außergewöhnlichen Lage von Wi’am an. Das Büro liegt direkt zwischen der Mauer (siehe Bild), die seit 2002 errichtet wird, dem Flüchtlingslager Aida, das seit 1948 besteht und sich mittlerweile zu einem Stadtteil Bethlehems verfestigt hat, und der Hebron Road, die in das nur wenige Kilometer entfernte Jerusalem führt. In Touren zu dem benachbarten Weingut Cremisan und nach Hebron fährt man durch sonnige Täler voll von Olivenbäumen, wird aber auch immer wieder mit der Mauer, Checkpoints und Stacheldraht konfrontiert. Die Folgen des Israel/Palästina-Konflikts in der Landschaft zu sehen und aus den Erzählungen der Menschen zu erleben, ist bis jetzt der spannendste Aspekt meines Praktikums.


Marokkos Vielfalt und die Herausforderung, in kurzer Zeit etwas zu bewegen

Praktikumsbericht von Pauline bei Chantiers Sociales Maroc

Diesen Herbst verbrachte ich sechs Wochen in Marokko und absolvierte ein Praktikum über die 14km-Partnerorganisation CSM (Chantiers Sociales Maroc), die ihren Sitz in Rabat hat. Von dort aus werden Freiwillige in Projekte und Gastfamilien der Umgebung vermittelt. In meinem Fall wohnte und arbeitete ich in der Nachbarstadt Salé, die auf der anderen Flussseite, direkt gegenüber der Hauptstadt liegt. Dort wohnte ich bei einer Gastfamilie in dem eher ärmlichen Viertel Sidi Moussa. Meine Gasteltern waren schon sehr “freiwilligenerprobt”, da sie seit über 10 Jahren junge Frauen aus dem deutschsprachigen Ausland aufnehmen und vor allem meine Gastmutter sorgte dafür, dass ich mich dort sehr wohlfühlte. Ich erhielt ein eigenes Zimmer in der kleinen Wohnung, das zuvor meinen nun ausgezogenen Gastbrüdern als Kinderzimmer gedient hatte. Meine Gastmutter setzte mir drei Mal pro Tag leckere marokkanische Speisen vor und ich konnte mich bei Fragen und Unklarheiten immer an beide Gasteltern wenden. Mein Gastvater war gleichzeitig auch der Gründer und Direktor des Frauenzentrums “Nahdat Alhay”, in dem ich offiziell eingesetzt sein würde. Als ich ankam, waren jedoch noch Ferien und das Opferfest - das wichtigste Fest für die Muslime, ähnlich wie bei uns Weihnachten - stand vor der Tür. Meine Arbeit begann also erst zwei Wochen später und ich nutzte die Zeit, meine Umgebung näher zu erkunden. An diesem Punkt wurde eine meiner wenigen Erwartungen nicht erfüllt: Statt direkt arbeiten und die kurze Zeit, die mir blieb, optimal zu nutzen, verzögerte sich mein Arbeitsbeginn, nicht nur durch die zeitlichen Umstände, sondern zusätzlich durch eine Art Projektwechsel. Erst nach meiner Ankunft erfuhr ich, dass es für mich im Frauenzentrum zu diesem Zeitpunkt nur wenig zu tun gäbe und so beschränkte sich mein Engagement dort auf eine Stunde Deutschunterricht pro Tag. Ansonsten verbrachte ich meine Arbeitszeit bei AMDEL, einer Bürgerinitiative, die sich für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung einsetzt. Doch wie bei meinem ursprünglichen Projekt gab es auch hier - bedingt durch den erst langsam anlaufenden Betrieb nach den großen Ferien - nicht allzu viel zu tun. So entschied ich mich, im Anbetracht der anstehenden Parlamentswahlen mehr über das politische System Marokkos herauszufinden. Unsere Kollegen bei AMDEL standen uns mit ihrem Wissen zur Seite und erklärten uns die Situation und die - nach ihrer Sicht - akuten Probleme. Darauf eingehend überlegten mein Mitfreiwilliger vom weltwärts-Programm und ich, einen Informationsfilm zu entwickeln, der den etwas komplizierten Wahlgang und seine einzelnen Etappen schlüssig aufbereitet. Wie viele Leute wir letztendlich damit erreichten und wie zielführend unsere Arbeit war, finde ich schwer einzuschätzen. Interessant war das Konzept von AMDEL: Neben Sensibilisierungsprojekten für Umweltbelange in Form von Filmen und Arbeitseinheiten bzw. Aufklärungsprojekten verstehen sie sich als Anlaufstelle für die Kinder und Jugendlichen des Viertels. Mit Unterstützung des Personals können sie z.B. Radiosendungen entwickeln und umsetzen und ich hatte den Eindruck, dass ihre Ideen ernst genommen werden und bei den Erwachsenen Gehör finden. Trotz dem Engagement der Angestellten und Freiwilligen, gestalteten sich die Kommunikation und Absprachen mit den Zuständigen tendenziell schwierig. Informationen mussten mehrmals erfragt werden, um annährend präzise Anhaltspunkte zu bieten, was für mich in Anbetracht meiner kurzen Zeit dort und dem Ehrgeiz, trotzdem etwas - sei es noch so klein - erreichen zu können, eine tägliche Herausforderung war. Doch gleichzeitig war es eine gute Übung und meine Ehrlichkeit und Durchsetzungsfähigkeit wurden allgemein positiv aufgenommen. Höhepunkt meiner Arbeit war die Teilnahme am “pré-COP”, einer regionalen Umweltkonferenz, die einerseits darauf abzielt, dass sich die unterschiedlichen Initiativen und NGOs vernetzen und ihre Arbeit vorstellen; anderseits aber auch dazu dient, die Bevölkerung für den im November anstehenden Weltklimagipfel in Marrakesch zu sensibilisieren. Gemeinsam mit drei Mitarbeitern und drei weiteren deutschen Freiwilligen betreute ich den Stand und gab Interessierten über die Arbeit von AMDEL Auskunft. Außerdem hatten wir ein kleines Gewinnspiel vorbereitet: Wir stellten die Verschwendung von Wasser exemplarisch dar, indem wir einen tropfenden Wasserhahn am Stand installierten und das Wasser darunter in einem großen Behälter auffingen. Die Leute sollten raten, wieviel Liter Wasser in 24 Stunden verschwendet werden würden. (Für alle Neugierigen: Bei regelmäßigem, nicht zu schnellen Tropfen kann es sich um 6 bis 7 Liter handeln.) Abgerundet wurde das Programm des pré- COP durch Diskussionsrunden und leckeren Buffets, bestehend aus den typisch kunstvollen, marokkanischen Keksen und Fruchtsaft. An den Wochenenden erkundete ich den Norden Marokkos und besuchte die Städte Tanger, Kénitra, Ifrane, Fès, Meknès und Chefchaouen. Ich bewunderte die Vielfalt des Landes, von der ich durch mein zeitliches Limit im Vergleich so wenig und doch so viel sah: Die breiten Strände von Tanger und Kénitra, die verwinkelten Gassen der großen Médina von Fès, der kleine, aber wunderschön verzierte Palazzo in Meknès oder die schroffen Berge im Rif- Gebirge sind nur wenige Beispiele für den natürlichen und kulturellen Reichtum Marokkos. Noch bereichernder als meine touristischen Aktivitäten waren meine Begegnungen mit den Einheimischen. Marokkaner sind im Allgemeinen ein sehr nettes und gastfreundliches Völkchen; und so erhielt ich häufiger Einladungen zum Essen von Bekannten und konnte sogar einmal einer kleinen Hochzeitsfeier beiwohnen. Mit Freunden ging ich ins Hammam - das arabische öffentliche Bad - und erkundete den Basar. Umgekehrt berichtete ich von meinem Leben in Deutschland, tauschte mich mit Freunden über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten aus und versuchte an einem Kochabend marokkanischen Jugendlichen die deutsche Küche näher zu bringen. Während Kartoffelpuffer mit Apfelmus ganz gut ankamen, erfreute sich der Gurkensalat keiner großen Beliebtheit, schließlich wurde er mit ungesüßtem Joghurt zubereitet, was in Marokko scheinbar wenig Akzeptanz findet. Dazu passt auch das typisch marokkanische Nationalgetränk: der - für uns Deutsche maximal gesüßte - Minztee, der zu jedem Anlass und jeder Tages- und Nachtzeit getrunken wird. Eine wichtige Erfahrung war für mich außerdem der Kontakt mit einem Islam des Alltags, der in so friedlichem Kontrast zu der undifferenzierten westlichen Berichterstattung steht. Seien es die unterschiedlichen Arten des Kopftuchs, die Koranrezitationen im Radio oder die Rufe der Muezzin zu den fünf Gebetszeiten am Tag. Zusammenfassend möchte ich betonen, dass es eine gute Erfahrung für mich war; trotz mancher Hürden und der viel zu kurzen Zeit habe ich viel gelernt und erlebt. Ein Praktikum und das Leben in einer Gastfamilie sind eine gute Möglichkeit, eine fremde Kultur näher kennen zu lernen. Falls Euer Interesse geweckt wurde, könnt ihr einige Erlebnisse auf meinem Blog www.paulinebenin.wordpress.com nachlesen. *** Die von uns wiedergegebenen Berichte von durch uns vermittelte Praktikant/innen spiegeln nicht notwendigerweise die Sichtweise von 14km e.V. oder unseren Partnern wider.


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