Marie Wehner: Vier Wochen Praktikum bei der High Atlas Foundation in Marokko

24. April 2014

„Dank der Vermittlung von 14km konnte ich in Marokko die Arbeit der High Atlas Foundation kennen lernen. Die Non-Profit-Organisation will in den von Armut betroffenen ländlichen Regionen Marokkos Hilfe zur Selbsthilfe leisten. Sie verfolgt dort einen „participatory approach“; das bedeutet, dass die Gemeinschaften selbst entscheiden, welchen Problemen sie die höchste Priorität einräumen und welche Projekte sie verwirklichen wollen. Indem sie Verantwortung für den Entwicklungsprozess übernehmen, soll eine nachhaltige Verbesserung der Situation erzielt werden und die Teilnehmer werden befähigt selbstständig zukünftige Herausforderungen zu meistern.

Vier Wochen habe ich in Marokko verbracht, drei davon im Tifnoute-Tal im Hohen Atlas. In den ersten zwei Tagen im Büro in Marrakesch konnte ich das Team kennenlernen und mich in die Gegebenheiten und Projekte in der Region Toubkal einarbeiten. Dann durfte ich bereits ins Tifnoute-Tal in das Dorf Amsouzarte fahren. Hier begleitete ich die Projektmanagerin Fatima, die die Projekte in der Region koordiniert und die Ansprechpartnerin für die TeilnehmerInnen hier ist.

Bild2Als ich in Amsouzarte ankam war ich begeistert von der beeindruckenden Landschaft. In der Ferne sieht man die schneebedeckten Gipfel der Berge und etwas näher werden die karg bewachsenen Geröllhänge von Ziegen und ihren Hirten bevölkert. Senkt man den Blick ein wenig, erblickt man strahlend grüne Terrassen, auf denen Bäume in weißer und rosa Blütenpracht stehen und deren Ränder Schwertlilien säumen. Zwischen diesen Terrassen erheben sich die traditionellen Lehmhäuser der Dörfer, eng an den Hang geschmiegt. Im Tal bahnt sich der Fluss seinen Weg durch Geröll und überflutet Wiesen, in denen die Frauen jeden Morgen Gras mit der Sichel ernten um die Tiere zu versorgen.

Die Projekte der High Atlas Foundation sind sehr vielfältig. Sie reichen von Projekten für sauberes Wasser und verantwortungsbewussten Verbrauch, über den Anbau von biologisch zertifizierten Walnuss-, Mandel- und Obstbäumen, bis hin zu Frauenkooperativen, die medizinische und aromatische Kräuter anbauen. Die Organisation hat den Anspruch, dass die Teilnehmer der Projekte diese selbst bestimmen und leiten. In der Region in der ich war, wurden deshalb Ende 2011 Meetings veranstaltet, in denen Männer und Frauen ihre Prioritäten bestimmen sollten und Ideen sammeln welche Projekte sie verwirklichen wollen. Die dort bestimmten Ziele werden seitdem mit großem Eifer verfolgt.

Die Männer widmen sich dem Anbau von Nuss- und Obstbäumen. Durch die Bio-Zertifikation ihrer Produkte, können diese auf dem Markt zu einem gesteigerten Wert verkauft werden. Der so erzielte zusätzliche Gewinn soll zur Hälfte den Bauern zu gute kommen und zur Hälfte weitere Projekte finanzieren. Damit dieses Projekt durchgeführt werden kann, müssen die Landwirte sich jedoch zuerst zu einer Kooperative zusammenschließen. Ihre bisherigen Verbünde in „Associations“ sind nicht berechtigt Gewinne zu machen. Diese Kooperative soll später mit Kooperativen aus anderen Regionen zusammenarbeiten, um ihre Produkte gemeinsam auf dem internationalen Markt verkaufen zu können. Von Seiten der High Atlas Foundation muss also mit Hilfe lokaler „Facilitators“ Bildungsarbeit betrieben werden, was die rechtliche Situation, aber auch das Konzept biologischer Landwirtschaft betrifft. In wöchentlichen Treffen kommen die Bauern zusammen und diskutieren die Entwicklungen.

Bild3Bei einem dieser Treffen konnte ich anwesend sein und beobachten wie dort gearbeitet wird. Da Tashelhit gesprochen wurde, konnte ich nur wenig verstehen und musste mich auf meine Beobachtungen verlassen. Trotz des Regens an diesem Tag waren viele gekommen und es waren Männer aller Altersklassen vertreten. Die Runde war lebhaft und als Omar, einer der lokalen „Facilitators“ den arabischen Gesetzestext vorstellte, gab es immer wieder Nachfragen, die Omar in Tashelhit beantwortete. Nach weiteren Diskussionen, wurden die Namen und Daten der Teilnehmer aufgenommen, die Teil der Kooperative sein wollten und nach einer Runde Tee wurde ein Film gezeigt, der biologische Landwirtschaft erläuterte.

Die Frauen der Region sind ebenfalls dabei sich zu Kooperativen zusammenzuschließen. Frauen aus sieben Dörfern möchten ein gemeinsames Gewächshaus betreiben, um dort medizinische und aromatische Kräuter anzubauen. Da die Frauen weniger mobil sind, besucht Fatima alle sieben Dörfer um dort die Details der Initiative vorzustellen. Hierbei habe ich sie begleitet und so viel von der Umgebung kennengelernt. Wir haben das Projekt in drei verschiedenen Dörfern vorgestellt; die weiteren haben sich verzögert, aufgrund von Hochzeiten, Wetterbedingungen und anderen Terminen. Um die Dörfer zu erreichen, sind Fatima und ich meist gelaufen, da der lokale Transport sich seinen Weg nur selten über die Schotterpisten zu den abgelegenen Dörfern bahnt. In den Dörfern müssen nun die Frauen versammelt werden. Dies kann sehr schnell gehen, da die Dörfer sehr klein sind und Besucher Aufmerksamkeit erregen, es kann aber auch schwierig werden, wenn sich viele Frauen auf den Feldern zum Schneiden von Gras für die Tiere befinden. Wenn sich die Frauen versammelt haben, erklärt Fatima das Projekt und die Bedingungen, die erfüllt werden müssen um die Unterstützung der Regierung zu bekommen. Im Anschluss wurden auch hier die Namen der Teilnehmerinnen aufgeschrieben. Diese Treffen waren lebhafte Angelegenheiten, oft an der frischen Luft vor einem der Häuser; die Frauen genossen sichtlich die Abwechslung und gegen Ende konnten wir uns vor Einladungen zum Tee kaum retten.

Bild4Bei einem weiteren Treffen zu den Möglichkeiten des Tourismus in der Region Toubkal konnte ich ebenfalls anwesend sein. Zu diesem Treffen versammelten sich sowohl Frauen als auch Männer um Ideen zu sammeln wie sie ihre touristisch weitgehend unentdeckte Region bekannter machen können. Zu Beginn wurde ein Bericht über ein Tamazight Filmfestival in Tiznit gezeigt. Dieses hatte Berühmtheiten in die Region gebracht und die Region mit positiver Berichterstattung mehr in den Fokus des Tourismus gerückt. Um diesen Ansatz in der Region Toubkal zu adaptieren, gab es die Idee ein Festival des Handwerks und der Handarbeiten zu organisieren. Die lebhafte Diskussion wurde von den Männern dominiert, die meisten der Frauen waren eher still, da sie es nicht gewohnt sind vor fremden Männern eine Meinung zu vertreten. Fatima versicherte mir jedoch, dass sie von dem Konzept begeistert sind und eine Menge Ideen haben wie man es realisieren könnte. Es wurde unter anderem der Verkauf von selbstgemachten Marmeladen diskutiert und Fatima stellte ein Projekt vor, bei dem die Frauen von Amsouzarte gelernt haben ihre Wolle mit natürlichen Farben wie etwa Henna, Walnussschalen und Kamille zu färben.

Bei den Treffen konnte ich aufgrund meiner mangelnden Tashelhit-Kenntnisse hauptsächlich beobachten und diente Fatima als Fotografin. Da über alle Tätigkeiten im Feld Protokoll geführt werden muss, und Berichte geschrieben werden, hat Fatima neben ihren Koordinationstätigkeiten viel Schreibarbeit zu tun. Sie fertigt die Berichte auf Arabisch an, soll diese nach Möglichkeit aber auch entweder auf Französisch oder Englisch abliefern. Hier konnte ich sie unterstützen und gemeinsam lief die Übersetzungsarbeit schneller. Die Hilfe beim Übersetzen der Berichte vergangener Treffen, bedeutete für mich die Möglichkeit, einen genaueren Einblick in die Dynamik der Treffen und die Belange der Teilnehmer zu gewinnen.

Die Hintergrundinformationen die ich in den ersten Tagen in Marrakesch bekommen hatte, waren sehr aufschlussreich, da ich keine Vorkenntnisse über die Region hatte und die Statistiken über Armut, Kindersterblichkeit und Analphabetismus erschreckend sind. Vor Ort zeigt sich ein anderes Bild: die Landschaft wirkt paradiesisch, die Menschen freundlich und glücklich. Diese widersprüchlichen Eindrücke kommen dennoch in Einklang wenn man etwas länger vor Ort bleibt.

Es zeigt sich dass die Kinder mit Begeisterung und Fleiß Französisch und Arabisch lernen und mit zwei verschiedenen Schriftsystemen zurechtkommen. Ältere Menschen dagegen können zwar Arabisch lesen, können aber mit ungewohnten Wörtern nicht gut umgehen. Mir schien es, dass sie gelernt hatten mit ihrer Leseschwäche zurechtzukommen und diese teilweise zu verschleiern.

Die zahlreichen Kinder wirken größtenteils gesund und lebhaft, und doch erfährt man nebenbei von verstorbenen Geschwistern. Die Armut lässt sich selten auf den ersten Blick erkennen und selbstverständlich gehörte meine Gastfamilie nicht zu den Ärmeren der Region. Auf unseren Besuchen in verschiedenen Dörfern kamen Fatima und ich jedoch sehr oft bei Verwandten von ihr vorbei, denen dann natürlich ein kurzer Besuch abgestattet werden musste. Hier ließ sich am ehesten ein Eindruck von den unterschiedlichen Lebensumständen der Menschen gewinnen.

Bild5Durch den geteilten Alltag des Familienlebens habe ich am meisten über die Kultur und Lebensweise im Hohen Atlas gelernt. Durch gemeinsame Aktivitäten; vom morgendlichen Brotbacken auf dem Feuer, über die geteilten Mahlzeiten, das Spielen mit den Kindern oder den Besuch des Dorf-Hammams, lernte ich die Frauen besser kennen und konnte viel über ihr tägliches Leben erfahren. Besondere Ereignisse wie etwa der Besuch einer Henna-Nacht sowie des Abschieds der Braut von ihrer Familie und ihren Freunden vor der Hochzeit, gaben mir einen Eindruck von den kulturellen und musikalischen Traditionen der Menschen.

Mein Aufenthalt in Amsouzarte war für mich eine sehr wertvolle Erfahrung, bei der ich viel über die Vorteile und Schwierigkeiten des „participatory approach“ lernen konnte. Obwohl die Umsetzung nicht immer einfach ist, bin ich von der Wichtigkeit dieser Vorgehensweise überzeugt. Es ist beeindruckend zu sehen mit welchem Engagement die Probleme der Region angegangen werden und wie zusammen gearbeitet wird um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.“

Die von uns wiedergegebenen Berichte von durch uns vermittelte Praktikant/innen spiegeln nicht notwendigerweise die Sichtweise von 14km e.V. oder unseren Partnern wider.


14km and closer – MENA-Netzwerkparty – Donnerstag, 24.04.14 von 18-22 Uhr Das war unsere erste MENA-Netzwerkparty
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