Von Liebe, Frust und Freundschaft oder Wenn Berliner einen Flughafen bauen –
Entwicklungshilfe und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit auf dem Prüfstand im vierten de:kolonial Film- und Diskussionsabend
rDer vierte Film- und Diskussionsabend schloss unsere de:kolonial Reihe mit einem großen Finale im überfüllten Kino Moviemento ab. In „Congo Calling“ kamen die Zuschauer*innen den Protagonist*innen ganz nah, in der anschließenden Diskussion nahmen unsere Podiumsexpert*innen die Entwicklungshilfe und internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit systemisch ins Visier – zunächst begann alles mit dem Bau eines Flughafens…
Im Februar 2015 war Goma, Kongo, nur ein kurzer Stopp auf der Afrikareise des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier. Er kam als erster deutscher Außenminister überhaupt in das Konfliktgebiet, um etwa 500 Meter neu errichteter Landebahn des Goma’schen Flughafens in einer feierlichen Zeremonie zu eröffnen. Etwa 14 Millionen Euro Entwicklungshilfe flossen damals in das Projekt, das zunächst als Unterstützung der UN-Truppen und der Monusco Blauhelmmission im Ostkongo gedacht war. Doch der Flughafen nimmt später auch eine zentrale Rolle in den lokalen Konflikten ein: die kongolesische Armee nutzt ihn als Waffenlager; die Rebellen der M23 (Bewegung des 23. März), nehmen im November 2012 den Flughafen und dann ganz Goma für 11 Tage blutig ein. Bis heute ist die Lage in der Demokratischen Republik Kongo unübersichtlich und von Ausschreitungen und Krisen geprägt: Rebellengruppen und Milizen kämpfen um politischen Einfluss, die Regierungsarmee schlägt zurück; Korruption, Armut und zuletzt die Ebola-Epidemie setzen dem Land zudem zu. Goma liegt dabei strategisch wichtig an der Grenze zu Ruanda und wurde so Anlaufpunkt für Flüchtlinge und internationale Hilfsorganisationen.
Von Liebe, Frust und Freundschaft oder Wenn Berliner einen Flughafen bauen
Mit Steinmeiers Rede beginnt auch der Film „Congo Calling“ (2019; Regie Stephan Hilpert), gleich danach im harten Cut folgen Szenen mit Straßenkindern, die bedröhnt in die Kamera blicken. Dazwischen Peter Merten, der dort ein Projekt leitet. Merten, seit drei Jahrzehnten als Entwicklungshelfer auf dem Afrikanischen Kontinent unterwegs, ist einer von drei ProtagonistInnen, die Dokumentarfilmer Hilpert in seinem sensiblen Werk begleitet: Raul, einen alten Freund Hilperts, der als Wissenschaftler im Kongo arbeitet und mit dessen Selbstzweifeln und Aushandlungsversuchen die Idee zum Film überhaupt erst begann; Anne-Laure, die sich in einen kongolesischen Aktivisten der Lucha verliebt hat und nun bei einem Musikfestival volontiert und Peter Merten, der nach seinem 65. Lebensjahr plötzlich keine Anstellung mehr bekommt und wehmütig zurück nach Deutschland kehren muss. „Es ist schon verwunderlich“, witzelt Merten dann auf dem Podium, „dass ausgerechnet die Berliner kamen, um in Goma einen Flughafen zu bauen“. Er stellt die Absurdität der Szene damit nochmals in einen aktuellen Kontext.
Stephan Hilperts HFF-Abschlussfilm stellt dabei nicht die Konflikte des Landes in den Mittelpunkt, sondern vielmehr die derer, „über die wir wirklich etwas sagen konnten.“ Die individuellen Probleme und Umgangsweisen der drei Europäer*innen werden den Zuschauenden dabei sehr nah, ihre Zerrissenheit zwischen Liebe, Frust und Freundschaft nachfühlbar gemacht. Eine investigative Systemkritik liefert der Film eher auf den zweiten Blick. Darauf lag dann entsprechend stärker der Fokus in der Podiumsdiskussion, die sich an die vollkommen ausgebuchte Filmvorführung anschloss.
Sinnvoll oder sinnlos? Die Praxis der Entwicklungshilfe im PrüfstandP
Häufig zweifle er an Projekten, beschreibt Merten etwa, „dann dachte ich auch: das hat doch alles keinen Sinn […] und habe aufgehört“. Oft seien die Projekte auch mit wirtschaftlichen und politischen Interessen in der Region verknüpft: „Mir wurde dann auch klar, dass, wenn ich da weitermache, dass ich dann auch die deutschen Wirtschaftsinteressen vertreten werde. […] So liest sich das dann auch, die Liste der Projekte“. Hilfe käme an, so Merten weiter, aber „es liegt an jedem Experten selbst, was er draus macht“. Das habe oft auch dazu geführt, dass er eher ein „Entwicklungshelfer mit Ecken und Kanten“ gewesen sei.
Auch die Sozial- und Kulturanthropologin Andrea Behrends beschreibt Machtasymmetrien und Abhängigkeiten, die ihr in ihren Forschungen im Tschad begegnet sind. Westliche Erdölfirmen etwa schufen Enklaven, die lokale Gegebenheiten größtenteils ausblendeten. Zögen sie weiter, bliebe dann selten etwas von dem Reichtum nachhaltig auch im Land; gleichzeitig seien Hilfsprojekte und Nichtregierungsorganisationen jedoch auch ein wirtschaftlicher Markt für sich. Krisensituationen erhielten so ihre ganz eigene Dynamik; häufig bildeten westliche Projekte erst Arbeitsmöglichkeiten, die durchaus positiven Einfluss auf die lokale Wirtschaft hätten. Gleichzeitig müsse man sich jedoch der langfristigen Konsequenzen des westlichen Eingreifens auch bewusst sein.
Ebenso wie „Congo Calling“ stellen auch die Podiumsteilnehmenden den Zwiespalt der Etwicklungszusammenarbeit heraus: Auf der einen Seite sind Menschen und lokale Märkte in einer neokolonialen Abhängigkeit vom Westen gefangen, auf der anderen Seite sind Interventionen gerade auch in humanitären Krisen wichtig; Auf der einen Seite fordern lokale Gegebenheiten häufig unbürokratisches Handeln, auf der anderen Seite sind Helfende selbst handlungsunfähig in einem System, das von ihnen verlangt, sich an genaue bürokratische Vorgehensweisen zu halten. Das Machtgefälle sei deshalb sehr groß, die wirtschaftliche Macht des Westens extrem: „Kinder, wie diese im Film, die in die Kamera sagen, sie wollen so leben wie die Weißen und ein Haus und Essen, das wird einem vor Ort tagtäglich so vorgeführt. […] selbst wenn du dich noch so stark engagierst, wirst du als Weiße*r immer auch mit dieser wirtschaftlichen Macht in Verbindung gebracht – das kann man gar nicht wegdenken“. Machtgefälle und Rassismen, etwa auch in Forschungsprojekten abzubauen, fiele deshalb außerordentlich schwer: Auch die unabhängige Wissenschaft sei schließlich dann doch abhängig davon, dass Projekte gefördert würden.
Kein Interesse mehr an Afrika!? Vom Anprangern neokolonialer Tendenzen und der Wirkmacht im Kleinen
Auch in der Film- und Fernsehindustrie ließen sich solche Abhängigkeiten durchaus wiederfinden, so der Regisseur Hilpert. Afrikanische Filmemacher*innen etwa hätten es auf dem europäischen Markt sehr schwer. Filmförderungen seien in den Ländern selbst aber auch kaum aufzutreiben. Auch Hilpert beschreibt die Schwierigkeiten für seinen Film, etwa einen Verleih und Ausstrahlungsmöglichkeiten zu finden – man werde hier oft konfrontiert mit dem Satz „Afrika, das interessiert doch keinen mehr“.
Auf die Frage, was jede*r einzelne hier zu einer Verbesserung der Situation beitragen könne, betonen alle drei Teilnehmende*n die komplexe Situation in der internationalen Zusammenarbeit. „Man kann diese Frage nicht einfach beantworten“, so Hilpert. „Ich habe immer mehr gemerkt, wie kompliziert das alles ist und welche Spannungen unser Einmischen in anderen Teilen der Welt mit sich bringen kann. Ich hoffe, dass wir dafür ein Bewusstsein geschaffen haben mit dem Film“. Man müsse aber auch hier das eigene Verhalten, etwa das Konsumverhalten überdenken und sich der Konsequenzen bewusst werden; die Politik habe hier häufig kein Interesse daran, da Wirtschaftsbeziehungen und Absatzmärkte oft nicht aufs Spiel gesetzt werden könnten. „Es gibt wenige […], die sich wirklich einen Kopf machen, wie das weiter geht mit der Entwicklungszusammenarbeit. […] Da muss man sich jetzt Gedanken machen“, so Merten. Hier müsse man dann auch verstärkt die Perspektive der Menschen vor Ort miteinbeziehen. Auch Behrends betont, man müsse „mutig sein, auch anderen Meinungen zuzuhören und mutig sein, manchmal auch gegen den Strom zu schwimmen“. Hier sei auch die Politik gefordert, denn „wie kann man Veränderungen herbeiführen, wenn dann auch Fluchtursachenbekämpfung immer noch über die korrupten Regierungen läuft?“. Am Ende käme es jedoch viel auf die individuelle Ebene an; in dieser und im Kleinen seien merkbarer Änderungen zu vollziehen. Genau dies habe der Film „Congo Calling“ gekonnt gezeigt.
Die Botschaft sei nicht, “das wird jetzt sowieso alles nix“, so Hilpert abschließend. Aber eine einfache Lösung gebe es eben auch nicht. „Am Ende glaube ich aber auch, dass die Welt im Kleinen irgendwie schon besser wird, vor allem durch Einzelpersonen, die mit großem Einsatz und großer Energie dafür kämpfen“.
Mehr zum Film: https://jip-film.de/congo-calling/
Podiumsteilnehmer*innen: Stephan Hilpert (Regisseur und Filmemacher), Peter Merten (Soziologe und Entwicklungshelfer), Andrea Behrends (Sozial- und Kulturanthropologin der Universität Bayreuth)
Veranstaltungsleitung, Moderation und Text: Julia Baumann
Die 14km de:kolonial Film- und Diskussionsreihe wurde gefördert von: