Author Archives: Maissa Lihedheb

„White Saviours“ in Aktion? Ein kritischer Blick auf internationale Freiwilligendienste aus drei Perspektiven

Am dritten de:kolonial Film-und Diskussionsabend am 11. September warfen wir einen (auch selbst-)kritischen Blick auf internationale Freiwilligendienste und setzten uns mit dem Phänomen des "White Saviourism" auseinander. Zum Einstieg zeigten wir die Dokumentation "H.O.P.E. was here" von Mark Denega. Der Film begleitet junge Studierende eines Bostoner Colleges, die an einem einwöchigen Freiwilligenprogramm ihrer Hochschule in Peru teilnehmen und dort in einer Schule und einer Organisation, die Kinder mit Behinderungen betreut, eingesetzt werden. Damit wird ein sicherlich extremes Beispiel eines Freiwilligeneinsatzes gezeigt, denn die kurze Zeit des Aufenthalts steigert die Absurdität des Unterfangens erheblich. Dennoch werden viele problematische Aspekte augenscheinlich, die für Freiwilligendienste insgesamt relevant sind und in der Folge diskutiert wurden. Drei Speakerinnnen brachten im Anschluss an das Filmscreening ihre Perspektiven auf die Problematik ein. Camila Ardila Oviedo konnte als Teilnehmerin eines Forschungsprojekts des ASA Programms in Brasilien über ihre dortigen Erfahrungen als Freiwillige erzählen. Caroline Bunge, Vorstandsmitglied von 14,4 km e.V., berichtete über ihre Erfahrungen in der Vermittlungsarbeit für den Verein, über den Freiwilligendienste in die MENA-Region vermittelt werden. Khaoula Behi hingegen teilte mit uns ihre Erfahrungen mit westlichen Praktika und Freiwilligendienstlern, die in Ihrem oder anderen Unternehmen in Tunesien eingesetzt wurden. v.l.n.r.: Caroline Bunge, Khaoula Behi, Moderatorin Maissa Lihedheb, Camila Ardila Oviedo Als eines der Hauptthemen des Abends wurde diskutiert, ob einseitige Freiwilligendienste eine Art White Savior Komplex oder gar weiße Überlegenheit manifestierten. Hierbei waren sich alle auf dem Podium darüber einig, dass durch den einseitigen Austausch letztlich nur privilegierte junge Menschen aus der westlichen Welt einen Einblick in die Lebenswelt anderer Länder bekommen, während der Nutzen für die empfangenden Organisationen und lokalen Gemeinden marginal ist. Es wurde somit die Frage aufgeworfen, wer die eigentlichen Gewinner*innen eines kurzen oder auch langen Aufenthalts als Freiwillige*r in der MENA- Region sind. Caroline beantwortete die Frage, ob sie das Freiwilligenprogramm von 14,4km selbst kritisch sehe damit, dass auch sie den einseitigen Austausch als problematisch empfinde. Versuche des Vereins, Leuten aus der MENA-Region ein Praktikum in Deutschland zu ermöglichen, seien bisher jedoch aufgrund der Visa-Bestimmungen oder aus finanziellen Gründen gescheitert. Wichtig im aktuellen Verfahren sei die Abstimmung mit den Partner-Organisationen und die Grundhaltung, mit der Praktikant*innen in die Region gingen: eben nicht als Retter*innen, die vor Ort Veränderung herbeiführen, sondern als Lernende, die von ihrem Aufenthalt profitieren. Caroline Bunge, Foto: Susanne Kappe Auch aus dem Publikum meldeten sich Stimmen, die aus eigener Erfahrung einen kritischen Blick auf Freiwilligendienste gewonnen hatten. Ein Besucher erzählte von seinem Aufenthalt in Ghana und kritisierte im Nachhinein, dass er und andere bereits mit nur 18 Jahren ohne Ausbildung eine Schulklasse unterrichten sollten. Dass der umgekehrte Fall in Deutschland oder anderswo in Europa keinesfalls möglich wäre, verdeutlicht die Problematik. Es deutet darauf hin, dass weißes Überlegenheitsdenken und ein White Savior Komplex existieren, die es ermöglichen, dass unqualifizierte junge Menschen in Ländern der MENA-Region und anderen Ländern des globalen Südens auf Positionen arbeiten, die ihnen in ihren Herkunftsländern nicht zustehen würden. Somit wird ein Überlegenheit der Weißen suggeriert und ein solches Überlegenheitsdenken legitimiert. Allerdings gab es auch positive Berichte über den Austausch, wie zum Beispiel Khaoula Behi sagte: “Das Schöne an so einem Austausch ist, dass man verschiedene Kulturen kennenlernt.” Sie erzählte auch, dass sie selbst mal die andere Rolle eingenommen hat, als sie für die Arbeit nach Nigeria reiste und dort als Weiße wahrgenommen wurde. “Vor allem war es für mich sehr lehrreich, als mich die Einheimischen nach Rat gefragt haben und zu mir aufschauten wie in etwa ‘Sie ist doch weiß, sie kann uns belehren’. Ich war überwältigt aber auch nicht überrascht, weil White Supremacy einfach so in unsere Welt integriert ist”. Khaoula Behi, Foto: Susanne Kappe Insgesamt zeigte die Diskussion an dem Abend, dass das Thema Freiwilligendienste und das damit zusammenhängende Phänomen des White Saviorism einer stärkeren kritischen öffentlichen Auseinandersetzung bedarf. Denn im Gegensatz zu den Teilnehmenden und Gästen an diesem Abend, die sehr selbstkritisch und reflektiert über die Problematik sprachen, ist die öffentliche Wahrnehmung von Freiwilligendiensten noch immer von einem Bild geprägt, für das selbstloser Einsatz und die Aufklärung vermeintlich rückständiger Kulturen zentral sind. Dazu gehören auch die unzähligen Bilder, die weiße Menschen umringt von strahlenden schwarzen Kindern zeigen und die sowohl in den sozialen als auch klassischen Medien omnipräsent sind. Trotzdem ergab sich aus der Diskussion nicht die Schlussfolgerung, dass Freiwilligendienste gänzlich abzuschaffen seien. Ein positiver Effekt dieser Auslandsaufenthalte ist, dass junge oder auch ältere Menschen aus ihrer bekannten Umgebung herauskommen und einen Teil der Vielfalt der Welt kennenlernen, indem sie sich in ein neues Umfeld und eine fremde Kultur einfinden. Dabei können Empathie und Offenheit geschult und die rein nationale, eurozentristische oder westliche Perspektive auf die Welt und die globalen Herausforderungen durch einen anderen lokalen Blickwinkel ergänzt werden. Diesen positiven Effekt gilt es zu fördern und die Menschen, die sich auf die Reise begeben, entsprechend kritisch vorzubereiten. Im Kern geht es somit vielmehr um eine Lernreise für Menschen aus Deutschland oder dem globalen Norden, die sich vor Ort in der Rolle eines Gastes, Lernenden und Beschenkten befinden, als um einen Freiwilligendienst, in dem der*die Freiwillige sich für die lokalen Gemeinden einsetzt. Dieses Framing erlaubt eine konstruktive kritische Einordnung der Freiwilligendienste und kann eine entsprechende Umsetzung leiten. Der Film- und Diskussionsabend der Reihe 14km de:kolonial wurde gefördert von:


3. de:kolonial Film-und Diskussionsabend

Film: H.O.P.E. Was Here "White Saviours" in Aktion? Ein kritischer Blick auf internationale Freiwilligendienste Ort und Zeit: 11. September 2019, 18 Uhr, Filmrauschpalast Moabit, Lehrter Strasse 35, 10557 Berlin Der dritte Film- und Diskussionsabend behandelt das Thema "Internationale Freiwilligendienste - “White Saviors” in Aktion?" und soll einen kritischen, aber konstruktiven Blick auf internationale Freiwilligendienste mit speziellem Fokus auf die MENA-Region werfen. Dabei soll durchaus auch Selbstkritik geübt und konstruktiv herausgearbeitet werden. Viele Europäische Studierende und Jugendliche leisten Freiwilligenarbeit in Ländern des Globalen Südens inkl. der MENA-Region und lassen sich von Vermittlungsorganisationen eine Einsatzstelle vermitteln. Seit einiger Zeit werden auch Aufenthalte für junge Menschen aus Ländern des Globalen Südens angeboten. Aber in wie fern können diese schädlich sein? Der Film H.O.P.E Was Here:Wohlhabende College-Studenten aus Boston begeben sich in dieser Geschichte über das Phänomen der Freiwilligendienste - auch als "FSJ" oder Dienstreisen bekannt -, auf eine einwöchige Reise. Für den guten Willen reisen die Studenten in die Slums von Lima, Peru. Jene Reise bildet einen Punkt der Kontroverse für sozialbewusste Millenials. Bei ihren Versuchen Englisch zu lehren und mit behinderten Kindern zu arbeiten, müssen sich die Schüler mit der Realität ihrer Arbeit auseinandersetzen und ob diese positive Veränderungen herbeiführt. Eine neue Interpretation eines klassischen moralischen Dilemmas. H.O.P.E. Was Here befasst sich mit der Schnittstelle von Privilegien und Armut durch die Frage, was es wirklich bedeutet, Menschen zu helfen. Auf dem Podium diskutieren Expert*innen zum Themenfeld: Annette Chammas, BMZ, Leiterin des Referats "Bürgerschaftliches Engagement, weltwärts und Engagement Global" Camila Ardila Oviedo, Studentin des Masters Sozial- und Kulturanthropologie an der Freien Universität Berlin und Aktivistin bei der Kolumbienkampagne Berlin. Wohnt seit 10 Jahren in Deutschland und versucht sich nicht andeutschen zu lassen. Zudem war sie für einen Forschungsaufenthalt in Brasilien im Zuge des ASA Programs (Freiwilligendienst) in 2013 und 2017. Ihre Schwerpunkte sind Entwicklungshilfe Kritik, Menschenrechte, Gender und Umwelt Anthropologie. Caroline Bunge ist die Stellvertretende Vorstandsvorsitzende von 14,4km e.V. und seit 2014 Teil des Teams, unter anderem als Koordinatorin für das Praktikumsprogramm in Marokko. Sie absolvierte ihr Studium der Süd- und Zentralasienwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Jahre 2014 war sie fuer mehrere Monate als Volontärin bei einer Frauenorganisation in Agadir Lehna bei Tata/ Südmarokko tätig. Seit 2017 ist sie auch Teamassistentin in der Suchdienst-Leitstelle im DRK-Generalsekretariat. Khaoula Behi arbeitet seit 2012 mit der tunesischen Zivilgesellschaft zusammen, um spezifisches Wissen über die Modellierung der Zivilgesellschaft und soziales Unternehmertum zu entwickeln. Als Innovationsexpertin und Forscherin arbeitet sie an verschiedenen Projekten mit verschiedenen gemeinnützigen Organisationen und Initiativen aus der MENA-Region. Ihre Arbeit zur Implementierung von Innovationssystemen konzentriert sich auf Co-Creation und Bottom-Up-Innovation zur Ermöglichung sozialer Transformation, mit Schwerpunkt auf Stärkung lokaler Gemeinschaften und Nachhaltigkeit. Sie ist außerdem Mitbegründerin von El Space, dem Hub für soziale Innovation in Tunesien, und Innovationsmanagerin von coinsence.org, einer digitalen Plattform, die Unternehmern und der Zivilgesellschaft Service und Geldwechsel ermöglicht. Der Film läuft im OMU mit deutschen Untertiteln. Die Moderation wird von Maissa Lihedheb (Projektkoordinatorin für 14,4 km e.V., Initiatorin von Classic Minority und Drehbuchautorin) durchgeführt. Der Eintritt ist frei, wir bitten um einen Solibeitrag auf Spendenbasis. Facebook Veranstaltung Mit der Unterstützung von:


Einladung zum Auftakt der 14km de:kolonial Film-und Diskussionsreihe

Abend 1: Themenkomplex Rassismus in Deutschland Mittwoch, 10. Juli 2019, 18:30 Uhr Filmrauschpalast Moabit, Lehrter Straße 35, 10557 Berlin Am ersten Abend unserer neuen Film- und Diskussionsreihe 14km de:kolonial beschäftigen wir uns mit Deutschland als Einwanderungsland mit Kolonialisierungsgeschichte und der Frage, wie Gesellschaft postkolonial gestaltet werden kann. Zum Einstieg zeigen wir den Film Afro.Deutschland (2017) von Jana Pareigis, Journalistin und TV-Moderatorin. Der Film thematisiert den Rassismus, den schwarze Menschen in Deutschland erleben - schwarze Deutsche sprechen von ihren Lebensrealitäten mit Ausgrenzung und Diskriminierung. In der anschließenden Film- und Podiumsdiskussion wollen wir mit den Referent*innen Tahir Della (Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V., glokal e.V.), Anna Dushime (Journalistin, Podcast Hart Unfair) undMusa Okwanga (Journalist u.a. für The Guardian) über ihre eigenen Erfahrungen sprechen und unser Publikum herzlich zur Beteiligung einladen. Mögliche weitere Diskussionsthemen sind strukturelle Formen von Rassismus in Deutschland und ihr Zusammenhang mit einer langen Geschichte des Glaubens an eine "White Supremacy", intersektionelle Diskriminierungen, der aktuelle (anti)rassistische Diskurs in Deutschland und die Frage, wie wir selbst gegen Rassismus und Diskriminierung eintreten können oder sollten. Die Diskussion wird auf Deutsch und Englisch stattfinden. Hier geht's zum Facebook-Event, wo wir ggf. aktuelle Infos zum Abend posten. Das Programm zu unserer gesamten Film- und Diskussionsreihe 2019 finden Sie hier.


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